Don’t Believe the Hype! Oder doch?
DEBATTE In der Akademie der Künste tauschten sich die Filmkritiker Georg Seeßlen und Bert Rebhandl über den Hype aus – eine nicht nur negative Sache
Hype als eine bewusste Form von Zeitgenossenschaft
Zumal unter Menschen, die auf Geist und Verstand etwas geben, steht der Hype unter Generalverdacht: leere Versprechungen, Marketing-Getröte, Mitläufertum und übereilt überschäumender Enthusiasmus markieren als exzesshafte Unterartikuliertheit das Ende jeder Kritik und ihres Gebots zu Distanz, verbindlichen Kriterien und säuberlichem Maßhalten. So jedenfalls die gängige Auffassung.
Doch die Sache liegt komplizierter, wie ein Gespräch am Montagabend in der Berliner Akademie der Künste zeigte, in dessen Verlauf die auch für die taz tätigen Filmkritiker Bert Rebhandl und Georg Seeßlen die Konturen des Kulturphänomens „Hype“ ertasteten.
Vom Hype als Zumutung, als autoritäre Diskursformation sprach Frédéric Jaeger vom Verband der deutschen Filmkritik in den einführenden Worten, und von der im Hype impliziten Handlungsanweisung, sich auch in der Verweigerung ihm gegenüber demonstrativ verhalten zu müssen. Jaegers dialektische Pointe: die Errettung des Hypes zumindest als Möglichkeit eines diskursiven Kitts, der die Nischen einer fragmentierten Öffentlichkeit wieder an einem Tisch versammelt.
Auch Rebhandl und Seeßlen standen dem Hype nicht bloß skeptisch gegenüber. Insbesondere Seeßlen machte den Hype als inkludierende Bewegung, als ein Angebot zur Teilnahme von wiederum geradezu dissidenter Schubkraft aus, als ein vielfältig strukturiertes Feld, dessen Agenten so verstreut liegen, dass von einer zentralen Instanz eines Hypes kaum zu reden sei. Ausnahme und Bestätigung dieser Regel: Der, wie Seeßlen meinte, „über 20 Leute nicht hinausgehende“, also weiß Gott nicht unter Marketingverdacht stehende Hype um Jean-Luc Godard, den Kritiker eher für sich behalten, statt die frohe Botschaft zu verkünden.
Ähnliche Graswurzelaspekte betonte auch Rebhandl von einer allerdings grundsätzlich etwas vorsichtigeren Position aus: Hype in seiner guten Variante verstand er mitunter als Emphase minoritärer Positionen im Spektrum der Kritik, als eine bewusste Form von Zeitgenossenschaft, die manche noch nicht offen zutage liegende Trends ans Licht der Öffentlichkeit bringen kann.
Auch die losen Gespräche unter enthusiasmierten Kritikerkollegen nach Festivalvorführung führte er als Hypemaschine ins Feld, die erste Eindrücke verdichten, sortieren und schließlich in ganz unterschiedliche Texte diffundieren lassen. Auf diese Weise trat etwa das Tarantino-Virus mit seiner in der amerikanischen Filmgeschichte längst inventarisierten Cannes-Aufführung von „Pulp Fiction“ seinen weltweiten Siegeszug an. Als zweiter Hype-Regisseur der 90er Jahre wurde mit Michael Haneke ironischerweise ein direkter Tarantino-Antipode identifiziert, als dessen filmkritischer Herold sich damals insbesondere auch Georg Seeßlen verdient machte.
Dass mit „Pulp Fiction“, „Drive“, „Barbara“ und „Liebe“ vorrangig Festivalerfolge als Beispiele dienten, ist vielleicht wirklich nicht bloß den cinephilen Vorlieben der beiden Gesprächspartner und den Hype-zuträglichen Verknappungen des Festivalbetriebs samt heute anhängigem Social-Media-Buzz geschuldet. Hypes reagieren auf Krisen, meinte Georg Seeßlen unter Verweis auf die wahren Seller in Musik und Film, denen selten Hypes im Sinne so eines durchlauferhitzten Kritikeraustauschs vorausgehen. So sehen sich beide Kritiker als Hype-Anwälte auch eher randständigen Ästhetiken verpflichtet: Rebhandl „schäumt“ für das rumänische Autorenkino und Seeßlens Enthusiasmus gilt dem japanischen Zombiefilm. THOMAS GROH