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Archiv-Artikel

In alle Winde zerstreut

CINEMAROMANI Mit einer differenzierten Filmauswahl sowie den einschlägigen Klassikern, die das populäre Bild der Sinti und Roma geprägt haben, präsentiert das Zeughauskino eine Schau über jenes Volk, das in Europa keinen Platz zu haben scheint

Ein Volk, das häufig zugleich romantisiert und gettoisiert wird

VON BERT REBHANDL

„Das ist Kampfsport. So musst du haben Kraft“, ruft Kenedi Hasani zu Beginn von Zelimir Zilniks Film „Kenedi Goes Back Home“ aus. Er hat in Deutschland Martial Arts gelernt, im Jahr 2002 ist er aber wieder in Belgrad, und nun werden ihm ganz andere Fähigkeiten abverlangt. Er muss improvisieren und recherchieren, er steht vor zerstörten Häusern und findet Verwandte nicht mehr.

Kenedi Hasani gehört zum Volk der Roma; alles, was er im Kosovo einmal besessen hat, hat der Krieg zerstört. Nun schläft er in seinem Auto und versucht, am Flughafen von Belgrad als unregistrierter Taxifahrer an Kundschaft zu gelangen. Die Leute, die er trifft, haben alle etwas zu erzählen. Vor allem über Deutschland, das Land, aus dem immer wieder abgeschobene Roma ankommen, zum Beispiel eine Frau mit vier Kindern, und mit fünf Euro in der Tasche. Wohin sie gehen soll, ist ihr unklar, sie war zehn Jahre weg, die Töchter kennen dieses Land gar nicht mehr. „Wir machen viel zu viel mit“, sagt eines der Mädchen. Darum geht es letztendlich in „Kenedi Goes Back Home“, einem Teil einer Trilogie, die Zelimir Zilnik mit dieser Figur Kenedi Hasan gestaltet hat und mit der er einen unvergesslichen Roma-Protagonisten geschaffen hat.

Im Rahmen der Filmreihe „Cineromani – Poetik und Politik“ im Zeughauskino gibt es wieder einmal Gelegenheit, „Kenedi Goes Back Home“ zu sehen, eines der zentralen Werke aus den Kriegsjahren im ehemaligen Jugoslawien, aus dem hervorgeht, dass es zwischen den Frontlinien und Ethnien noch eine weitere Volksgruppe gab neben den einander bekriegenden Serben, Kroaten, Bosniern und Albanern. Die lokalen Roma, die in Mitrovica auf ihre zerstörten Quartiere blicken, stehen für eine in alle Winde zerstreute Gruppe, die in Europa keinen Platz zu haben scheint. Das geht auch aus vielen anderen Filmen dieser exzellent zusammengestellten Schau zusammen, die genau zur richtigen Zeit kommt. Denn hinter Stichworten wie „Armutsmigration“ verbirgt sich nicht selten ein altes Ressentiment gegen ein Volk, das häufig zugleich romantisiert und gettoisiert wird.

Ein Dokumentarfilm wie „The Curse of the Hedgehog“ von Dumitru Budrala gibt dabei Gelegenheit, sich eine konkrete Vorstellung von den Lebensbedingungen (in diesem Fall in Rumänien) zu machen, aus denen viele Sinti und Roma aus Südosteuropa in die deutschen Städte aufbrechen, um hier Windschutzscheiben zu waschen oder auf andere Weise Geld zu verdienen. Die Großfamilie, die hier porträtiert und in ihrem Überlebenskampf, aber auch in ihrer starken mythologischen Verwurzelung in Landschaft und Kultur gezeigt wird, gehört zur Gruppe der Baesi (Boyash oder Bayash). Schon allein in diesen verschiedenen Namen stecken viele Jahrhunderte komplizierter Geschichte, auf die hin Budrala das gegenwärtige Schicksal der extrem armen Menschen durchsichtig macht, von denen er berichtet.

Bei „Cineromani“ gibt es sowohl geografische wie historische Achsen, und das Programm überzeugt sowohl durch differenzierte Auswahl wie durch die Aufnahme jener einschlägigen Klassiker, die das populäre Bild von den Sinti und Roma bisher überwiegend geprägt haben. „Time of the Gypsies“ etwa, der Arthouse-Hit von Emir Kusturica aus dem Jahr 1992, der in seiner ganzen Ambivalenz die Klischees, die über dieses Volk im Umlauf sind, zugleich übersteigert wie drastisch sozialrealistisch unterminiert. Dazu wäre ein interessanter Vergleichsfilm etwa „I Even Met Happy Gypsies“ von Aleksandar Petrovic aus dem Jahr 1968, einem Höhepunkt des Roma- wie des jugoslawischen Kinos, und damit einer Tradition, die durch Risse und Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Davon unbeirrt spinnt „Cineromani“ neue Fäden einer europäischen Geschichte der Sinti und Roma, die wenigstens in dieser Filmreihe als Volk erscheinen, das über Grenzen und Ausgrenzungen hinweg und gegen manchmal übermächtige Zuschreibungen eine prekäre Identität zu behaupten versucht.

■ Cinemaromani: bis 22. Juni im Zeughauskino. Programm: www.dhm.de/kino