Mit dem Geigenkoffer frisch vom Taksim-Platz

KONZERT Das Anadolu Quartet aus der Türkei verbindet anatolische Lieder mit klassischen Instrumenten und politischen Botschaften. Mit der Sängerin Sakina tritt es jetzt erstmals in Berlin auf

Fast täglich waren die Musiker des Anadolu Quartet in dieser Woche am Taksim-Platz, wo sie sich an den Protesten gegen die geplante Shopping Mall und die Regierung Erdogan beteiligten. Am heutigen Donnerstag wollen sie in den Flieger nach Deutschland steigen, um sich auf ihre Konzerte hier vorzubereiten. Ein wenig zittert die Sängerin Sakina Teyna, die in Düsseldorf auf sie wartet, um sie: „Ich hoffe, sie brechen sich vorher nicht noch den Arm.“

Sakina Teyna selbst hat die Türkei vor Jahren verlassen. Aufgrund ihres politischen Engagements war es ihr dort zu gefährlich geworden. Im Jahr 2006 bat sie in Österreich um Asyl. Den Neuanfang in Europa nutzte sie, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Vor zwei Jahren gründete mit zwei befreundeten Musikerinnen das Trio Mara, das kurdische Volkslieder mit klassischer Instrumentierung verbindet. Ihr erstes Konzert gab das Trio zum Frauentag am 8. März, im vergangenen Jahr brachte es ein Album heraus. Die Zusammenarbeit der drei Musikerinnen ist nicht ganz einfach, denn die Pianistin wohnt in Hannover, die Geigerin in Frankfurt, während Sakina, die Sängerin, zwischen Düsseldorf und Wien pendelt. Ihre Kompositionen und Lieder schicken sie sich gegenseitig per E-Mail hin und her, nur für Proben, Aufnahmen und Auftritte treffen sie sich.

Ganz ähnlich gestaltete sich jetzt die Zusammenarbeit mit dem Anadolu Quartet, einem nicht nur in studentischen Kreisen gefeierten Streichensemble aus der Türkei. Die vier klassisch ausgebildeten Musiker arrangieren traditionelle kurdische, armenische und türkische Lieder mit Cello und Violine völlig neu. Mit Frack und Fliege verwandeln sie alte anatolische Volksweisen zu wohltemperierter Kammermusik. Zu den Konzerten mit Sakina kommt das Streichquartett in diesen Tagen erstmals nach Deutschland.

Würde kurdisches Liedgut an den Konservatorien der Türkei regulär gelehrt, dann würde dort vermutlich öfters solche Musik entstehen, wie sie das Anadolu Quartet spielt – ein musikalisches Spiegelbild der kulturellen Vielfalt der Landes. Erste Ansätze dazu gäbe es inzwischen auf kommunaler Ebene, in kurdisch geprägten Städten wie Diyarbakir und Mardin, sagt Sakina.

Für klassisch ausgebildete Musiker haben die Musiker des Anadolu Quartets ein ungewöhnlich politisches Profil. Das zeigt sich schon an ihrem Repertoire: Eines ihrer Stücke haben sie dem Gedenken an das Massaker von Dersim gewidmet, bei dem 1937 rund 30.000 alevitische Kurden der republikanischen türkischen Armee zum Opfer gefallen sein sollen. Außerdem engagieren sie sich in der türkischen Umweltbewegung. Ein Video haben sie auf dem Dach eines Hauses gedreht, das in den Fluten des Uzuncayir-Stausees bei Dersim versunken ist. Es sind Staudämme wie diese, die – neben dem Wildwuchs an Shopping Malls in Istanbul – den Unmut der Bevölkerung gegen die AKP-Regierung befeuern.

■ Sakina & Anadolu Quartet: Roter Salon/ Volksbühne, 11. Juni, 19 Uhr