Die „nackte Existenz“

Streik-Auftakt im öffentlichen Dienst: Kitas, Ordnungsämter und Müllfahrer in Niedersachsen treten heute in den Ausstand. Die Aktionen haben Signalwirkung für den Tarifkrach in ganz Deutschland

von Kai Schöneberg

Die Arbeitgeber drohen mit Arbeitsplatzabbau, als Antwort zeigen die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst richtig Krallen: Bei einem „Aktionstag“ streiken heute in Niedersachsen erstmals seit 14 Jahren Angestellte der Kommunen. Beschäftigte in Kitas, Ordnungsämtern, Meldestellen und 20 städtischen Krankenhäusern sowie Müllfahrer kündigten an, am Mittwoch einen Tag lang in den Ausstand zu treten. Auch am Flughafen Hannover dürfte sich die Abfertigung verzögern, weil 50 Malocher heute Pause machen. Bis zu 10.000 der 120.000 kommunalen Bediensteten im Land würden streiken, sagte Verdi-Landeschef Wolfgang Denia. Das sei auch bitter nötig. Es gehe „um die nackte Existenz der Beschäftigten“, aber auch um „die Qualität der kommunalen Einrichtungen“. Aber natürlich geht es für die Gewerkschaft auch darum, ihre Kampfkraft zu beweisen.

Schwerpunkt der Aktionen mit einem Sternmarsch ist heute die Region um Hannover. Aber es geht um viel mehr. Das zeigt sich nicht nur daran, dass Verdi-Chef Frank Bsirske in der Landeshauptstadt spricht. Ab heute beginnen nicht nur die bis zum 10. Februar dauernden Urabstimmungen über Streiks in den Kommunen. Gleichzeitig fangen sie auch für die Landesbediensteten in Niedersachsen an, die sich ebenfalls im Tarifkonflikt befinden. Abstimmungen über Streiks in anderen Bundesländern sollen folgen. Die Verdi-Mobilmachung in Hannover soll also eine Auseinandersetzung anheizen, die schon ab dem 13. Februar das ganze Land lahmlegen könnte. Denia kündigte an, im Falle des Falles „keinen Bereich aus dem unbefristeten Arbeitskampf herauszunehmen“.

Hintergrund: Die Kommunalen Arbeitgeberverbände in Niedersachsen und Baden-Württemberg hatten den Tarifvertrag gekündigt, um die Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Wochenstunden zu verlängern. Damit schwenkten die Städte auf die Linie der Länder ein, die ebenfalls längere Arbeitszeiten und einen Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld für ihre 850.000 Arbeiter und Angestellte durchsetzen wollen. Hartmut Möllring, Chef der Tarifgemeinschaft der Länder und niedersächsischer CDU-Finanzminister, spricht davon, dass eine Arbeitszeitverlängerung von 18 Minuten pro Tag nicht so schlimm sei. Außerdem droht er mit Jobabbau. Aber auch Denia kann mit den Muskeln spielen: Der Verdi-Mann spricht vom „Tarifdiktat“ und davon, dass die Arbeitszeitverlängerung ein „Vernichtungspotential“ von 5.000 Stellen allein bei den Kommunen bedeute.

„Ich muss nicht 18 Minuten länger arbeiten, sondern bekomme weniger Lohn“, stellt Angela Gerl, Teilzeit-Erzieherin in der Kita Neue Straße in Hannover richtig. Für sie bedeuteten die Forderungen der Arbeitgeber 50 bis 60 Euro weniger in der Tasche – bei einem Monatslohn von 1.350 Euro netto. Gerl: „Dabei kann ich mir nicht mal einen Zehner weniger leisten“. Von 34 kommunalen Kitas in Hannover sind heute 31 geschlossen, drei fahren einen Notdienst für alleinerziehende Eltern. Auch in Göttingen sind von 15 städtischen Kitas elf dicht.

Ganz schön verärgert hat Verdianer Jürgen Hohmann, dass die Fraktionschefs von CDU und FDP im Landtag den Streik in den Kitas kritisiert hatten, weil er „zu Lasten der Eltern“ gehe. Hohmann: „Dann sollen Herr McAllister und Herr Rösler doch ruhig mal einen Monat Praktikum in einer Kita machen.“