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Archiv-Artikel

„Die Deutschpflicht hilft auf jeden Fall“

Die Schule muss vermitteln, dass es für jeden Schüler von Vorteil ist, mit allen kommunizieren zu können. Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann kann deshalb an einer Deutschpflicht für die Pausenhöfe nichts Schlechtes finden

taz: Herr Hurrelmann, lassen Sie uns über die Deutschpflicht auf Schulhöfen reden. Kann man auf dem Schulhof Deutsch lernen?

Klaus Hurrelmann: Der wirkliche Sprachlernerfolg ist dabei nicht so groß. Es geht um das soziale Lernen. Darum, dass es in einer Gemeinschaft gewisse Regeln gibt, die alle befolgen müssen. Dazu gehört auch, dass man auf die Kommunikationssituation eingeht und eine Verkehrssprache einführt, die alle beherrschen. Eine gute Schule muss ihren Schülern vermitteln können, dass es für jeden Einzelnen nur Vorteile hat, mit allen kommunizieren zu können. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl, das Gefühl, ein Teil der großen Gemeinschaft zu sein. Einen gewissen Übungserfolg gibt es sicher.

Wie kommt man dazu, in der Pause Fremdsprachen zu verbieten?

Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, haben ein Problem. Wie schaffen sie es, im gesamten Schulleben Umgangsformen zu etablieren, die von allen angenommen werden. Zum Schulleben gehören auch die Pausen. Die Schule ist ein soziales Gebilde mit Kindern unterschiedlicher Herkunft und Sprache. In Betrieben funktioniert das auch. Eine Schule ist auch so etwas wie ein Dienstleistungsbetrieb, das kann man durchaus vergleichen.

Wie wirkt sich ein Anteil von über 90 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund auf die Lernprozesse aus?

Gerade an solchen Schulen ist es wichtig, dass alle miteinander kommunizieren können. Manche Schüler sprechen außerhalb der Schule kaum Deutsch. Dass im Unterricht ausschließlich Deutsch gesprochen werden muss, ist klar. Wenn die Schüler aber nicht Deutsch sprechen, ist der Lehrer ausgeschlossen. Er kann dann überhaupt nicht mehr auf die Schüler einwirken.

Was bedeutet es denn für die Identität eines Schülers, wenn seine Muttersprache auf dem Schulhof verboten wird?

Ich denke nicht, dass ihnen dadurch ein Teil ihrer Identität genommen wird. Außerhalb der Schule ist Deutsch ja auch die Verkehrssprache. Für den einzelnen Schüler ist es eine angenehme Situation, sich mit allen verständigen zu können und Teil der Schulgemeinschaft zu sein.

Aber wenn sich ein Achtklässler mit drei Kumpels auf Türkisch unterhalten will, wird er wohl kaum Deutsch sprechen, nur um ein Teil der Schulgemeinschaft zu sein.

Natürlich kann ich es nachvollziehen, dass sich ein Schüler mit seinen türkischen Kumpels auf Türkisch unterhalten will. Aber wenn er Deutsch spricht, kann er sich eben auch mit afghanisch-, russisch- oder deutschsprachigen Kindern unterhalten. Die Schülerinnen und Schüler müssen ihren Horizont erweitern. Deutsch ist nun einmal die einzige Sprache, die alle verstehen.

Hilft die Deutschpflicht also den deutschen Muttersprachlern auf dem Schulhof?

Auf jeden Fall. Wenn Deutsch zur Pflicht wird, können sie auch wieder alle verstehen und mit allen sprechen. Man muss sich vorstellen, wie das für diese Kinder ist, wenn ihre Sprache, die außerhalb der Schule völlig normal ist, zur Minderheitensprache wird und auf dem Schulhof überhaupt nicht gesprochen wird.

Aber durch die Deutschpflicht kommen Migrantenkinder genau in diese Situation.

Das ist aber nicht das Gleiche. Außerhalb der Schule ist Deutsch ja schon die Verkehrssprache. Damit sind die Kinder aufgewachsen. Und die deutschen Muttersprachler können die anderen Kinder im Gespräch auf dem Schulhof beim Deutschlernen unterstützen.

Aber ist es denn Aufgabe der Schulen, diese Verkehrssprache durchzusetzen?

Es gibt Kinder, die zum ersten Mal mit Deutsch in Kontakt kommen, wenn sie das Elternhaus verlassen. Das ist bei vielen die Einschulung. Hier muss man früher ansetzen. Familien, in denen gar kein Deutsch gesprochen wird, sollten ihre Kinder in Kindertagesstätten anmelden. Dies sollte man nicht erzwingen wollen, sondern mit Anreizen schaffen. Auch die Elternberatung ist wichtig, aber es wird immer dann schwierig, wenn sich Institutionen in das Familienleben einmischen.

In einer Umfrage haben sich 55 Prozent der Befragten für eine Deutschpflicht auf Schulhöfen ausgesprochen. Was sagt das über das pädagogische Gespür der Deutschen aus?

Ich weiß ja nicht, aus welchen Motiven heraus die Befragten sich für die Deutschpflicht ausgesprochen haben. Von mir aus könnte diese Zahl gerne noch höher sein.

Signalisiert das nicht den Kindern von MigrantInnen: Passt euch gefälligst an?

Das kann schon sein. Ich finde aber, dass das nicht unbedingt ein falsches Signal ist. Dass die Verkehrssprache in Deutschland Deutsch sein sollte, wird ja auch keiner bestreiten.INTERVIEW: KERSTIN SPECKNER