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Archiv-Artikel

Bitte keine Blutwurst zum Mittag

Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat die Normalität des Bösen untersucht, Täterpersönlichkeiten in den Nazi-Lagern. gefunden hat er Menschen, die gegen Juden waren, wie alle gegen Juden waren, und die sich nach einem Mordvormittag beschwerten, wenn es Blutwurst zum Mittag gab

Von aha

Harald Welzer stellt Fragen über ganz normale Menschen. Und über ihre Motive. Seine Antworten erschüttern und beängstigen. Der Sozialpsychologe war im Zuge des „Dies Academicus“ zum Holocaust-Gedenktag zu Gast in der Universität Bremen. Groß war das Auditorium, groß offenbar auch das Interesse der vornehmlich jungen Menschen.

Was sind das für Menschen, die noch 6 Monate, bevor sie sich bewusst für das Töten entscheiden, dieses kategorisch von sich gewiesen haben?

Der Versuch, eine Täterpersönlichkeit zu finden, die aus einer persönlichen Disposition heraus mordet, habe sich als nicht umfassend genug erwiesen, berichtete Welzer. Der Anteil derer, die psychische Auffälligkeiten aufwiesen, sei gering gewesen, etwa fünf bis zehn Prozent der Täter. Die Mehrheit der TäterInnen sei ein Spiegel der ganz normalen Bevölkerung – gebildet wie ungebildet, Frauen wie Männer, Stadt- und Landbevölkerung. Damit sei das Distanzierungsbedürfnis schon sehr eingeschränkt.

Um zu erfassen, wie der nette Familienvater und der harmlose Handwerker zum Tötungsarbeiter, wie Welzer es nennt, werden konnte, reiche es nicht, von „außen“ zu gucken. Man müsse eine Binnenperspektive rekonstruieren, die es erlaubt, die Situation, wie sie die Handelnden wahrgenommen haben müssen, zu interpretieren und so die Basis für ihr Handeln zu ergründen.

Die Situation der deutschen Bevölkerung habe sich seit 1933 schleichend aber kontinuierlich gewandelt. Was anfänglich in der faschistischen Ideologie und Propaganda stattfand, wurde nach und nach, auch freiwillig, in die Wirklichkeit übersetzt. Es sei als Mitglied der Volksgemeinschaft normal gewesen, Juden und andere Menschen „kategorial auszugrenzen“. Man habe eben die Straßenseite gewechselt, wenn man einem Juden begegnete. Und eine Fußballmannschaft ohne Juden fiel offenbar auch nicht weiter auf.

Angehörige der Täter fühlten sich laut Welzer häufig bemüßigt zu betonen, dass sie gar nichts bemerkt hätten. Es sei wahrscheinlich nicht einmal ein Akt des Leugnens, es mache deutlich, wie normal die Ausgrenzung war. Innerhalb der Volksgemeinschaft mit ihren Normen hätten die Täter gemäß der moralischen Vorstellungen, die für die anderen nicht galten, gehandelt.

Wie nun Massenmord zur Alltagsroutine werden konnte, stellt Welzer in dem historischen Kontext des Barbarossa-Feldzugs Mitte 1941 an einem Beispiel dar. Das Reservebataillon 101 wurde mit knapp 500 Männern aus Hamburg, Bremen und Bremerhaven zu einem Sonderauftrag nach Polen geschickt. Dort wurde ihnen eröffnet, dass sie die jüdische Bevölkerung aufzuspüren, Arbeitsfähige auszusondern und alle Übrigen – Alte, Frauen und Kinder – zu erschießen hätten. Der Kommandant Major Wilhelm Trapp, auch „Papa Trapp“ genannt, habe seinen Leuten anheim gestellt, sich an der „Judenaktion“ nicht zu beteiligen. Nur etwa elf der 500 Männer traten vor. Warum? Objektiv sei es nicht um Befehl und Gehorsam gegangen. Verweigerer habe man anderweitig einsetzen können. Welzer weist auf den hohen Konformitätsdruck untereinander einerseits, aber auch auf das Bestreben der Männer hin, sich aufgrund der Schwere der Aufgabe hinter „Papa Trapp“ zu stellen.

Die Professionalisierung des Tötens, wie Welzer es bezeichnet, sei ein dynamischer Prozess gewesen, der die Männer ganz in Anspruch genommen habe.Die Tötungsarbeit habe optimiert werden müssen. Für die Männer seien es ganz normale Arbeitstage mit Mittagspausen gewesen. Sie hätten sich gar darüber beschwert, dass es Blutwurst zum Mittag gegeben habe. Das sei geschmacklos in Anbetracht ihrer Aufgabe.

In ihrer Wahrnehmung seien die Männer anständig gewesen, hätten sich abgegrenzt gesehen einerseits zu denen, die „wirklich brutal“ agiert hätten, und auch zu den Opfern. „Moralität funktioniert nicht als Verhinderer des Tötens“, konstatiert Welzer. aha