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Archiv-Artikel

Ein Netz aus Denunziation und Kontrolle

NACHKRIEGSKINO Wolfgang Staudtes „Rotation“ zeigt das moralische Versagen der Deutschen im Dritten Reich am Beispiel einer Kleinbürgerfamilie, deren Vater sich in den Dienst der NS-Propaganda stellt. Der verkannte Film ist in der Brotfabrik zu sehen

Die rotierende Druckerpresse wird zum filmischen Leitmotiv: Sinnbild von individueller Verstrickung und Hass-Maschinerie

VON ANDREAS BUSCHE

Ende der vierziger Jahre war das Bewusstsein in Deutschland noch nicht so weit gediehen, dass man sich zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Geschichte des Dritten Reichs bereit zeigte. Wolfgang Staudte unternahm mit seinem Defa-Debüt „Die Mörder sind unter uns“ (1946) einen frühen Versuch, eine Kontinuität zwischen Drittem Reich und Nachkriegsdeutschland aufzuzeigen. Er sollte lange Zeit eine Ausnahme bleiben.

Drei Jahre später drehte Staudte mit „Rotation“ einen Komplementärfilm. Es ging nicht mehr um eine juristische Schuld, für die die Täter sich zu verantworten hatten, sondern um das moralische Versagen der Deutschen. Welchen Anteil hatte das Individuum an den Verbrechen der Nazis? Und inwieweit begünstigten die Feigheit und die Ignoranz der Deutschen, speziell der Arbeiterschaft, den Aufstieg Hitlers?

Staudte begnügte sich nicht mit eindeutigen Antworten, stattdessen konzentriert sich seine Geschichte auf einen exemplarischen Deutschen im Dritten Reich: den hart arbeitenden Kleinbürger, der hinter vorgehaltener Hand die Politik der Nationalsozialisten kritisiert, gleichzeitig aber von den Vorzügen der Parteimitgliedschaft profitiert. Hans Behnke, die Hauptfigur in „Rotation“, macht sich durch sein Schweigen der Mittäterschaft schuldig.

Staudtes Film schildert vor dem Hintergrund von Machtergreifung und Kriegen die knapp zwanzigjährige Ehe von Hans und Lotte Behnke. Der gelernte Drucker ist zum Leidwesen seines kommunistischen Schwagers ein unpolitischer Zeitgenosse, dem das Wohl seiner Familie über alles geht. Die hohe Arbeitslosigkeit zwingt Hans zu Zugeständnissen, während sich das Netz aus Denunziation und Kontrolle immer enger um die Familie zuzieht.

Erst werden die jüdischen Nachbarn abgeholt, dann muss der Schwager sich über die Grenze absetzen und schließlich fällt der eigene Sohn den Verführungen der Nazis anheim. Staudte zeigt das Arbeitermilieu als genauso anfällig für die Nazi-Lügen wie der Rest der Gesellschaft. Hans stellt sich in den Dienst dieser Propaganda, um Frau und Kind zu ernähren. Die rotierende Druckerpresse wird zum filmischen Leitmotiv: Sinnbild von individueller Verstrickung und Hass-Maschinerie.

„Rotation“ ist ein verkannter Spielfilm des deutschen Nachkriegskinos: der Missing Link zwischen „Die Mörder sind unter uns“ und Peter Lorres „Der Verlorene“, der die Psychopathologie der Tätergeneration aus dem Blickwinkel eines gebrochenen Rückkehrers zu verstehen versucht. Heute ist „Rotation“ weitgehend in Vergessenheit geraten, dieser prekäre Status mag auch mit seinem Regisseur zusammenhängen.

Staudte hat mit „Die Mörder sind unter uns“ und der Heinrich-Mann-Verfilmung „Der Untertan“ zwei maßgebliche deutsche Nachkriegsfilme gedreht, aber seine Karriere endete zur Hochzeit des deutschen Autorenfilms unrühmlich im Westfernsehen. Wobei seine Tatorte mit Hansjörg Felmi und Gustl Bayerhammer noch immer zu den Höhepunkten im Segment deutscher Fernsehkrimi gehören. Vom Establishment wurde er nach „Herrenpartie“ (1964) als „Nestbeschmutzer“ beschimpft, für die Oberhausener fiel er in die Kategorie „Opas Kino“.

Im Kino in der Brotfabrik läuft „Rotation“ aber noch aus einem anderen Grund. Die seltenen Vorführungen finden im Rahmen des von dem Journalisten Jan Gympel initiierten Projekts „Berlin-Film-Katalog“ statt, das an der Erstellung einer umfassenden Online-Datenbank aller in Berlin gedrehten Filme arbeitet. Ziel ist eine Art filmische und historische Kartografie des vergangenen Berlins.

Besonders der „Showdown“ von „Rotation“ ist in diesem Zusammenhang instruktiv. Staudte bezieht sich auf die Sprengung des Berliner S-Bahn-Tunnels durch die SS, bei der in den letzten Kriegstagen Hunderte ums Leben kamen. Staudtes spektakuläres Finale, teilweise an Originalschauplätzen gedreht, leistete vielen Legenden Vorschub, die sich seitdem um die Zerstörung der S-Bahn-Schächte rankten. Im unterschlagenen Genre des Berlin-Films nimmt „Rotation“ damit eine Sonderstellung ein.

■ „Rotation“: Brotfabrik, Caligariplatz 1, 17.–19. 6., 18 Uhr