: Streitraum Schaubühne
ISLAM Es gibt die moderne Muslimin, Publizistin und Schriftstellerin, die sich öffentlich zeigt
Irgendwann platzte Hilal Sezgin dann doch der Kragen. „Es gibt uns und wir zeigen uns“, rief Sezgin empört in den Saal. Schließlich sei sie eine „modere Muslimin“ und rede und schreibe als Publizistin und Schriftstellerin über den Islam. Genau das hatten Sezgin, die Musikerin und DJ Ipek Ipekcioglu und der Theaterregisseur Nurkan Erpulant am Sonntag bereits fast zwei Stunden lang im „Streitraum“ der Berliner Schaubühne getan, als sich im Publikum eine Frau zu Wort meldete. Und fragte, warum es keine moderne Einlassungen zum Islam gebe.
Damit freilich reproduzierte sie genau eines der Klischees, das die Diskussion „Was ist echt? Öffentlichkeit und die Lüge vom authentischen Muslim“ aufzubrechen suchte: dass die Muslime repressiv, unaufgeklärt und antimodernistisch seien.
Bereitwillig waren die drei zuvor dem Vorhaben der Moderatorin Carolin Emcke gefolgt, die zunächst „Muslime im Singular“ zum Thema machen wollte – und hatten von ihrem persönlichen Verständnis vom Muslimsein erzählt. Denn als solche begreifen sich alle drei, auch wenn sie dem in der Öffentlichkeit vorherrschenden Bild vom Muslim kaum entsprechen.
Einig waren sich die drei, dass es sich um eine „sehr intime Frage“ handele, denn Religion sei schließlich Privatsache. Bis er mit 25 Jahren nach Deutschland gekommen sei, habe er sich nicht damit beschäftigt, ob er Muslim sei, sagte Erpulat. Inzwischen aber werde er ständig – auch öffentlich – mit dieser Frage konfrontiert. „Es gibt diesen ständigen Zwang, sich zuordnen zu müssen“, sagte auch Ipekcioglu. „Etwa als Muslimin oder auch als lesbische Türkin der zweiten Generation.“ An der Universität, bemerkte auch Sezgin „war ich nur Philosophiestudentin, jetzt bin ich türkisiert und muslimisiert“. Diese ständigen Identitätsfragen, so Ipekcioglu, „engen mich ein“.
Schnell aber war die Diskussion bei jenen, die letztlich auch dem Anlass zu der Veranstaltung gaben: bei den IslamkritikerInnen wie Necla Kelek und Seyran Ates, die von den Medien gern als „authentische Muslime“ präsentiert werden, die wissen, was sich in der muslimischen Community abspielt, die sich auch Missstände – etwa was Gleichberechtigung von Mann und Frau angeht – zu benennen trauen und Dinge wie Ehrenmorde oder Zwangsheirat öffentlich anprangern. „Undifferenziertheit“ warf Erpulat ihnen vor, „Verallgemeinerungen“ Ipekcioglu.
Es müsse darum gehen, die betroffenen Frauen zu stärken, betonte Sezgin. Verallgemeinerungen und Verbotsdebatten, wie über Kopftücher oder derzeit über die Burka in Frankreich, würden die Frauen dagegen schwächen. „Wenn sie mit Burka nicht mehr Bus fahren dürfen, dann müssen sie zu Hause bleiben“, sagte Sezgin. „Das kann doch nicht unser Ziel sein.“ Die Publizistin machte auch klar, dass es hier um mehr geht als die Deutungshoheit in den Feuilletons: „Wenn Umfragen zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung islamfeindlich sind, hat die Situation einen bedrohlichen Punkt erreicht.“ SABINE AM ORDE