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Archiv-Artikel

SILKE MERTINS ÜBER DEN NÄCHSTEN IRANISCHEN PRÄSIDENTEN Warum die Wahlen wichtig sind

An den nuklearen Ambitionen des Iran wird sich auch ohne Ahmadinedschad nichts ändern

Acht Jahre lang hat der nun aus dem Amt scheidende Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Westen in Atem gehalten. Seine zahlreichen Drohungen und Verwünschungen brachten Medien und Ölmärkte zum Beben. „Der Irre von Teheran“, wie ihn die Boulevardpresse gern nennt, wurde das Gesicht des Bösen in der islamischen Republik.

Tatsächlich konnte Ahmadinedschad nicht einmal allein entscheiden, ob Frauen zu Fußballspielen ins Stadion dürfen. Bei Fragen von Krieg und Frieden hatte er erst recht nichts zu melden. Außenpolitisch ist ein iranischer Präsident kaum mehr als ein Grüßaugust. Über internationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik entscheidet der oberste geistliche Führer Ali Chamenei – und nur er. Insbesondere die Nuklearfrage ist fest in den Händen des Ajatollahs.

Ahmadinedschads Politik hat den Iran zwar immer weiter in die internationale Isolation getrieben. Doch das war eine Folge seiner Rhetorik, nicht seiner Entscheidungen. Über Kompromisse beim Atomprogramm sowie die Beziehungen zu den USA hat ein iranischer Präsident formal und de facto nichts zu sagen. Am nuklearen Kurs und an den ehrgeizigen Ambitionen des Iran wird sich daher auch ohne Ahmadinedschad substanziell nichts ändern.

Dennoch sind die Präsidentschaftswahlen an diesem Freitag von großer Bedeutung. Vor allem aus einem Grund: Die iranischen Wähler sind unberechenbar. Zuverlässige Umfragen existieren nicht. Ebenso wenig lässt sich an den Medien die Stimmung im Land ablesen. Liberale Zeitungen und Websites sind größtenteils geschlossen worden, Facebook, Twitter und YouTube blockiert.

Drei Szenarien beunruhigen das erzkonservative Establishment um Chamenei.

Erstens: Ein erheblicher Teil der Wähler geht gar nicht erst zur Wahl. Das würde die islamische Republik delegitimieren. Auch der Mullahstaat mit seiner gelenkten Demokratie hat den Anspruch, den Willen des Volkes halbwegs widerzuspiegeln. Die Wahlbeteiligung müsste dann frisiert werden – was durchsickern wird.

Zweitens: Die oppositionellen Wähler sammeln sich hinter Hassan Rohani. Der ist zwar kein echter Reformer. Aber er hat die Rückendeckung des Expräsidenten Mohammed Chatami, der zurzeit als Oppositionsführer fungiert. Im Wahlkampf hat sich Rohani darüber hinaus mit liberalen Forderungen hervorgetan. Außerdem: Die junge Generation, die sich nach Veränderung sehnt, neigt dazu, einen Kandidaten zu „adoptieren“. Auch Mir Hussein Mussavi, der Herausforderer von 2009, hatte sich nie als Reformer bezeichnet. Aber die jungen Leute stellten sich einfach hinter Mussavi, bejubelten ihn und machten ihn zum Symbol des Widerstands.

Drittens: Die Oppositionsbewegung nutzt die Wahlen zu neuen Protesten, so wie sie vergangene Woche auch die Beerdigung eines Ajatollahs in Isfahan zu einer Demonstration gegen die bestehenden Machtverhältnisse genutzt hat.

Selbst eine kleine Abweichung vom Wunschzettel Chameneis könnte von der Opposition als Schlappe für den geistlichen Führer gefeiert werden. Als sein Favorit gilt Said Dschalili, Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen. Wirtschaftspolitisch traut aber kaum jemand dem Kriegsveteranen etwas zu. Angesichts der katastrophalen ökonomischen Lage, der hohen Inflation und der harschen Sanktionen könnte es durchaus sein, dass die Wähler daher dem Bürgermeister von Teheran, Mohammed Bagher Ghalibaf, den Vorzug geben. Wirtschaftspolitik ist eines der wenigen Politikfelder, auf denen ein Präsident tatsächlich etwas bewirken kann.

Wichtig sind die Wahlen aber auch deshalb, weil die nächste iranische Präsidentschaft – wenn man von zwei Amtszeiten ausgeht – wahrscheinlich zeitlich mit einem sehr sensiblen Machtwechsel zusammenfallen wird. Chamenei ist 73 Jahre alt und gilt als gesundheitlich angeschlagen. Sollte er sterben, droht eine Staatskrise. Seine Nachfolge ist nicht geregelt und das Land – inklusive der Geistlichen – gespalten.

An einem solchen Wendepunkt wäre der Präsident dann tatsächlich der wichtigste Mann im Staat: einer, der das politische Klima bestimmen würde. Aber welches Klima das sein wird, ist so unberechenbar wie die heutigen Wahlen.