: Hüter des Geldes
Zu Besuch bei Karl Otto Pöhl
VON GABRIELE GOETTLE
„Marktwirtschaft ist ohne die soziale Verantwortung aller auf Dauer nicht lebensfähig.“
Karl Schiller
Karl Otto Pöhl, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank, 1929 in Hannover geboren. Nach der Schule Volontariat bei der „Hannoverschen Presse“, freier Journalist und Studium der Volkswirtschaftslehre in Göttingen, 1955 Diplom als Volkswirt. Bis 1960 ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, danach Wirtschaftsjournalist beim „Volkswirt“ in Bonn. Wurde 1970 von Karl Schiller ins Wirtschaftsministerium geholt, wurde Ministerialdirektor und war auch als Redenschreiber und Berater für Willy Brandt tätig. 1972–77 unter Schmidt und Apel Staatssekretär für Finanzen. Wurde 1977 zum Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank berufen. Von 1980 bis 1991 war er dann deutscher Notenbankpräsident. 1991 Rücktritt. 1992 bis zum Ruhestand 1998 war er persönlicher Gesellschafter bei der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim.
Pöhl war populärster Chef der Notenbank der BRD und galt als Europas berühmtester und mächtigster Zentralbanker. Er war Hüter und Herr des Geldes, „Mr. D-Mark“ titelte die „Times“. Unsere Geldscheine trugen seine Unterschrift und die seines Stellvertreters Schlesinger. Sein Leitspruch war: Die Notenbank darf kein Instrument der Politik werden, ihre wesentlichste Aufgabe ist der Erhalt der Geldwertstabilität. Als Mitgestalter der europäischen Geldordnung war er an der Entstehung des Euros maßgeblich beteiligt. Das Statut der Europäischen Zentralbank wurde unter seinem Vorsitz erarbeitet. Gegen alle Widerstände setzte er beharrlich ihre Unabhängigkeit durch, strenge Regeln zur Wahrung der Preisstabilität und auch den Sitz in Frankfurt am Main.
Herr Pöhl ist kürzlich 80 geworden, gelassen, freundlich und unarrogant erzählt er mir ein wenig aus seinem Leben.
„Ich war 15, als der Krieg zu Ende war, und ich war sozusagen Kind ganz einfacher Leute und sehr arm. Die Mutter ist um diese Zeit gestorben, der Stiefvater war im Krieg noch, also, ich habe gehungert, buchstäblich gehungert. Dann hatte ich aber Glück und kam auf eine Waldorfschule (lacht), das war die einzige Schule, die wieder aufmachte – vorher war sie ja verboten. Dort fand ich sehr verständnisvolle Lehrer. Aber ich hatte kein Geld, war ganz allein. Es gab da einen Lehrer, der kannte den Karl Wiechert [1899–1971, seit 1919 SPD, im Nationalsozialismus verfolgt, inhaftiert im KZ Neuengamme; Anm. G. G.]. „Er war Lokalredakteur bei der Hannoverschen Presse – das war eine große Lizenzzeitung damals, 400.000 Auflage –, und dahin hat er mich vermittelt. Ich war 18, und an sich nahmen sie Volontäre erst ab 21. Ich hatte aber weder die Schulbildung, noch war ich 21, aber der Chefredakteur, Korspeter hieß der [1897–1967, SPD, in Gestapo-Haft; Anm. G. G.], zeigte sich auch sehr verständnisvoll. Er war bereit, mich einzustellen, ich sollte aber das Abitur noch machen usw. Das habe ich alles zugesagt.
80 Mark verdiente ich im Monat. Ich kam dort stark mit der SPD in Berührung und bin dann 1948 eingetreten. Ich dachte, die SPD ist richtig, die waren gegen die Nazis. Sie haben“, sagt er feurig, „als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Es gab die berühmte Reichstagsrede von Otto Welz „Hitler führt zum Krieg“. Also die SPD war einstimmig dagegen. Die Kommunisten hätten natürlich auch dagegen gestimmt, sie waren aber schon im Konzentrationslager. Selbst Theodor Heuss, der saß damals schon im Reichstag, hat für das Ermächtigungsgesetz gestimmt! Na jedenfalls, ich war damals in der Hannoverschen Presse in guter Gesellschaft.
Eines Tages – ich durfte mich schon Redakteur nennen – wurde eine Stelle bei der Hannoverschen Presse in Göttingen frei. Da sagte Korspeter zu mir, du musst studieren, geh nach Göttingen, da kannst du beides vereinen. Ich wollte eigentlich gar nicht. So kam ich also nach Göttingen, habe dort studiert und für die Hannoversche Presse Sportberichte geschrieben. Kriegte 150 Mark. Und dann noch mal 150 Mark von der Sportzeitung Neue Woche. Ich bin jeden Sonntag auf dem Fußballplatz gewesen – damals spielten die Fußballer am Sonntag –, und donnerstags habe ich die Vorschau gemacht. Ah, furchtbare Zeit, aber ich kam ganz gut über die Runden, dazwischen habe ich Volkswirtschaft studiert.
Ende der großen Koalition
Anders als das heute ist, hatte ich vier Angebote, als ich fertig war. Ich habe mich auch bei der FAZ beworben, die haben mich aber nicht genommen (lacht). Kurzum, dann bin ich nach München, war im Verlag, beim ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Das war sehr wichtig für mich, praktische Volkswirtschaftslehre, da habe ich so den letzten Schliff bekommen. Keynes war sehr populär am Institut. Ich war da 4 Jahre oder 6 Jahre, weiß nicht mehr. Dann dachte ich, in München machst du ja keine Karriere. Und in der Tat, alle meine Kollegen waren da bis zum Schluss. Ich habe dann ein Angebot in Bonn als mehr oder weniger freier Journalist angenommen, das war Der Volkswirt. Bonn war furchtbar nach München. Aber es hat mir sehr genutzt.
Ich habe als Journalist die Schiller’sche Linie verfolgt, er war ja Keynesianer und eine Art Vorbild für mich. Ich habe über ihn geschrieben, und er hat aus einem meiner Artikel zitiert im Bundestag (lacht). Das war mein großer Durchbruch. Dann gewann Willy Brandt 69 die Wahl, Ende der großen Koalition, die SPD brauchte Leute, und Schöllhorn, Staatssekretär bei Schiller, fragte mich, ob ich ins Wirtschaftsministerium kommen möchte. Sage ich: Ja, sehr gern. Es war eine Abteilung – ich habe immer gesagt, für Pinsel und Bürsten –, da war alles Mögliche drin, von Filmförderung bis Einzelhandel, und ich hatte von nichts eine Ahnung! Aber ich habe mich schnell eingearbeitet. Wir hatten da große Subventionen, 200 Millionen, glaube ich. Ich habe Programme gemacht – damals war ja alles Programm – für kleinere und mittlere Unternehmen. Die gibt es heute noch (lacht).
Da war ich ein Jahr, dann wollte Schiller seinen Ministerialdirektor Ehrenberg loswerden. Mit ihm zusammen hatte ich übrigens in Göttingen Staatsexamen gemacht. Der war im Kanzleramt in dieser kleinen Spiegelabteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik, und Schiller konnte nicht mit ihm. Der wurde einfach zum Staatssekretär befördert, im Arbeitsministerium (lacht). Ich übernahm seinen Posten.
Und an meinem ersten Arbeitstag gab Schiller den Wechselkurs der D-Mark frei, damit war die Bundesbank von ihrer Interventionsverpflichtung gegenüber dem Dollar befreit, was sie unbedingt wollte. Das war 1971. Grund war der Dollar, der immer schwächer wurde. Ja, ganz richtig, der Grund für die Schwäche des Dollars war der Vietnamkrieg, genau! Und am 15. August hat Nixon dann die Golddeckung des Dollars aufgehoben. Das war der Anfang vom Ende, von Bretton Woods! Es hieß dann einfach nur: „Das Goldfenster wurde geschlossen.“ Die Amerikaner hatten sich ja in Bretton Woods 1944 verpflichtet, jeden Dollar, den man ihnen anbot, in Gold umzutauschen. 35 Dollar eine Feinunze Gold. Die Franzosen zum Beispiel haben später reichlich Gebrauch davon gemacht. Wir haben in den 60er-Jahren auf den Eintausch verzichtet, wir hatten genug Gold (lacht).
Wir hatten während des Koreakriegs ja enorme Exportüberschüsse gehabt. [Im Koreakrieg, 1950–52, stieg der Export rüstungsrelevanter Güter wie Eisen u. Stahl um 200 Prozent und war wesentlicher Faktor fürs BRD-Wirtschaftswunder; Anm. G. G.] Und damals haben wir’s in Gold umgetauscht. Darum haben die Deutschen die zweithöchsten Goldreserven der Welt, nach den Amerikanern. Jedenfalls, es war mein erster Arbeitstag, wie gesagt, und ich musste gleich einen Vermerk schreiben für Willy Brandt. Schiller übernahm übrigens im Mai, nach dem Rücktritt von Alex Möller, dann auch noch das Finanzministerium.
Der Rücktritt von Schiller
Es war einfach auch zu viel. Später kam der Rücktritt von Schiller, 1972. Er war so gut wie isoliert, ich war der Einzige, der im Kanzleramt noch seine Position vertrat. Ich bin auch der Letzte gewesen, der ihn gesehen hat nach dem Rücktritt. Der Grund? Vorangegangen war eine harte Auseinandersetzung mit dem Bundesbankpräsidenten Klasen, es ging um währungspolitische Maßnahmen gegen die Spekulationsflut – die dann gar nicht kam. Schiller war absolut gegen den „spontanen“ Vorschlag Klasens, protektionistische Maßnahmen anzuwenden. Klasen hatte sogar mit Rücktritt gedroht. Das hat mir Willy Brandt gesagt, im Beisein von Ehmke! Und das steht übrigens in keinem Buch, auch nicht in „Machtwechsel“ von Baring. Aber es ist wichtig für die Rolle von Klasen, der ihn ja gestürzt hat, zusammen mit Helmut Schmidt. Der streitet es bis heute ab, aber die beiden haben ordentlich gesägt, bis sich am Schluss im Kabinett keine Hand mehr erhoben hat für Schiller.
Jedenfalls trat er zurück – Schmidt wurde sein Nachfolger. Schiller ist dann aus der Partei ausgetreten und hat mit Ludwig Erhard zusammen Wahlkampf für die CDU gemacht. Ja! Das war die erste vorgezogene Bundestagswahl, Misstrauensvotum gegen Brandt und was da alles war, zum ersten Mal durfte ab 18 gewählt werden. Es war ein großer Wahlkampf, und zu meiner Überraschung hatte die SPD den größten Wahlerfolg in ihrer Geschichte; dank Willy Brandt, seiner Persönlichkeit, seines Charismas und seiner Ostpolitik.
Und eine Überraschung für mich war auch, dass Schmidt – nun nach der Wahl nur noch Bundesfinanzminister – mich bei einer Weihnachtsfeier anrief, abends im Wirtshaus, und fragte, ob ich sein Staatssekretär werden möchte. Das habe ich für ausgeschlossen gehalten! Ich war ja bekannt als Schiller-Mann. Ich kriegte die Abteilung Geld und Kredit. Die hatte Schmidt listig geschaffen, sie war ja damals ganz wichtig wegen der Wechselkurse. Das war dann auch die Zeit, Anfang 73, wo wir versucht haben, das Bretton-Woods-System zu erhalten, das System fester Wechselkurse, die Stabilität des internationalen Währungssystems zu retten.
Paul Volcker, mit dem ich seit 40 Jahren befreundet bin – er wurde später amerikanischer Notenbankpräsident –, war damals Staatssekretär im US-Finanzministerium, wie ich im deutschen [Volcker, Jahrg. 1927, gilt als der letzte Notenbankpräsident, der die Wallstreet in Schach hielt, heute berät er Obama; Anm. G. G.]. Wir trafen in Washington zusammen, und er kam rübergeflogen, mit einem Militärflugzeug ohne Fenster, das Schmidt immer „Yellow Submarine“ nannte, nach einem Beatles-Song. Es waren die letzten Zuckungen von Bretton Woods, es ging um die Abwertung des Dollars und die Aufwertung der D-Mark, die vierte war das, glaube ich. Der Prozentsatz musste ausgehandelt werden. Das war eine streng geheime Mission. Ich war dabei, als Schmidts Gehilfe sozusagen.
Und später kam ja dann die Ölkrise – infolge des Jom-Kippur-Krieges haben die Ölländer gedrosselt, und es erhöhten sich sprunghaft die Ölpreise. Aber schlimmer noch, das Bretton- Woods-System war endgültig zusammengebrochen. Das war ein ganz folgenschwerer Vorgang! Alle gingen zum Floating über, zur Freigabe der Wechselkurse. Na ja, die Folgen sind ja bekannt. Aber es war meine interessanteste Zeit, diese vier Jahre. Ich könnte noch erzählen vom Bundeskanzleramt, von Willy Brandt, seinem Arbeitsstil, der sehr angenehm war. Entgegen seinem Ruf, hat alle Vorlagen aufmerksam gelesen. Wenn ich die abends abgab, hatte ich sie am nächsten Morgen zurück. Er machte mit seiner kleinen Handschrift Notizen und war auf jede Kabinettssitzung sehr gut vorbereitet. Bis nachts um vier haben wir oft gesessen im Kanzlerbungalow.
1974 kam dann der Rücktritt. Gut, er war schwer depressiv, das war aber nur einer der Gründe. Wehner, von dem ich gar keine gute Meinung habe, hatte in Moskau diesen Satz gesagt: „Der Herr badet gerne lau.“ Ich war grade bei Willy Brandt im Zimmer, als die Meldung über den Ticker kam. Also das war alles nicht sehr anständig. Schmidt hat sich dann auch auf die Seite von Wehner geschlagen, und vier Wochen später trat Willy Brandt zurück. Schmidt wurde Kanzler. War naheliegend. Die Guillaume-Geschichte? Nein, deswegen hätte Brandt nicht zurücktreten müssen! Der Nollau, das war der Verfassungsschutzpräsident, hat den Spion – da war der schon enttarnt – ja noch drei Monate lang absichtlich im Kanzleramt gelassen! Weil man ihn noch weiter „beschatten“ wollte. Auch beim Urlaub in Norwegen. Nicht zu fassen! Unglaublicher Vorgang!!
Für mich waren die guten Tage eigentlich vorbei. Apel wurde Finanzminister – den hielt ich ja für eine Null, muss ich sagen – ich konnte nicht so recht mit ihm. Und dann kam 74 auch noch die Herstatt-Affäre! [Kölner Privatbank, größte Bankenpleite der Nachkriegsgeschichte; Anm. G. G.] „Die hatten sich verspekuliert, deren Devisenhändler Dany Dattel. Sehn Sie, bei festen Wechselkursen wäre das gar nicht möglich gewesen! Es gab noch keinen Einlagensicherungsfonds, den haben wir erst gegründet. Jedenfalls, ich habe mich ziemlich aus dem Fenster gelehnt. Mich engagiert, mit Erfolg, zugunsten der Einleger und zuungunsten von Gerling, dem Großaktionär. Ich wollte, dass der bezahlt! Wir haben ihn ein bisschen unter Druck gesetzt. Ich besonders, und da war ich als zuständiger Staatssekretär kurz davor, zurücktreten zu müssen. Ganz kurz davor!
Schäbiger Finanzminister
Apel hatte damals einen seitenlangen Brief an Schmidt geschrieben und beteuert, er hätte damit nichts zu tun, das sei ich gewesen. Er hat sich sehr schäbig benommen. Er hat den Brief auch noch an Friderichs geschickt, den Wirtschaftsminister von der FDP. Aber der hat die Sache nicht weitergegeben, das war ihm sehr hoch anzurechnen – zumal ich später erfuhr, dass Gerling ein großer Finanzier der FDP war. Damals hatte ich auch noch gerade geheiratet, da stand die Sache auf Spitz’ und Knopf. Schmidt sagte: Es kommt darauf an, was Montag im Spiegel steht. Aber am Montag kam raus, Gerling hat bezahlt, 200 Millionen! Das war damals viel Geld. So eine Situation hatte es vorher noch nicht gegeben, und sie war erst durch das Floating entstanden.
Für mich war es im Finanzministerium nicht mehr sehr attraktiv. 1977 wurde ich dann plötzlich Bundesbankvizepräsident. Wieso eigentlich, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht wollte man mich loswerden? (lacht) Das brachte u. a. auch eine Verdopplung meines Gehaltes mit sich, aber ich sagte mir bald, ich möchte nicht als Vizepräsident sterben, wenn schon, dann als Präsident. Und ich musste nicht lange warten. Zwei Jahre später wurde ich Präsident. Otmar Emminger ging. Aus Altersgründen, aber auch, weil er – zu Recht – sehr kritisch war gegenüber einigen Vorschlägen von Schmidt und Giscard d’Estaing. Giscard hatte zum Beispiel vorgeschlagen – weil der Franc ja dauernd unter Druck war –, dass ein Europäischer Währungsfonds gegründet wird, bei dem sich die Mitgliedsländer endlos hätten verschulden können, gegen ihre eigene Währung. Das wäre natürlich ein Inflationsmechanismus gewesen, ohne Kontrolle über die Geldschöpfung.
Italien zum Beispiel hätte sich endlos im Währungsfonds Lira besorgen können gegen ECU, hätte damit interveniert, aber nie zurückzahlen müssen. Emminger hat dann durchgesetzt, wir, die Bundesbank – aber mithilfe des französischen Notenbankpräsidenten –, dass die aufgenommenen Kredite nach 3 Monaten in harter Währung – also in D-Mark oder Dollar – zurückgezahlt werden müssen. Und das haben die Franzosen dann auch eingesehen. Das ist auch im EWS-Vertrag so drin. Das EWS war eine gute Sache, aber es hat anfangs überhaupt nicht funktioniert. Elf Abwertungen und Aufwertungen hat es gegeben im Laufe der Zeit. Die Krise Anfang 83 drohte dann das EWS vollends zu sprengen. Aber nach der Währungskonferenz in Brüssel, über Weihnachten – mit Delors, der ja damals Wirtschafts- und Finanzminister Frankreichs war –, haben die Franzosen sich um 180 Grad gedreht. Seitdem hat das EWS funktioniert. Bis zum Schluss! Es war der Grundstein für den Ausbau des Europäischen Währungssystems.
Ich habe dann sehr maßgeblich mitgewirkt an der Schaffung des Euros, habe das alles mit vorbereitet. Unter meinem Vorsitz und auf meine Initiative hin ist das Statut der Europäischen Notenbank entstanden, und es ist fast wörtlich im Maastricht-Vertrag von allen Regierungen angenommen worden. Na ja? Delors hat sich zwar große Dienste erworben, er hat den gemeinsamen Markt erfunden, aber als Währungspolitiker ist er überhaupt nicht hervorgetreten. Er hatte keine Ahnung von Währungspolitik! Es gab Differenzen, das Komitee war kurz davor, zu scheitern, ich wollte nämlich austreten, weil Delors sich aufspielte, große Vorschläge machte. Die deutsche Position, die ich vertrat, war aber: Es muss eine absolut unabhängige Europäische Notenbank gegründet werden, die mit starken Funktionen und starker Autorität die europäische Geldpolitik bestimmt!
Im Delors-Ausschuss, das war ja ein Kreis vor allem von Notenbank-Gouverneuren, da ging’s natürlich um die D-Mark, um die Abschaffung der D-Mark (lacht). Ich war ja eigentlich dagegen. Aargh!“ Herr Pöhl stöhnt auf und massiert seine linke Hand. „Ein Krampf?“, frage ich besorgt. „Ja, geht schon wieder, dabei habe ich heute Morgen Magnesium genommen. Wo waren wir?“, fragt er gefasst. „Sie waren gegen die Abschaffung der D-Mark.“ „Ja, richtig, denn de facto war die D-Mark als stärkste Währung die Leitwährung. Sie war der Anker des Systems. Ganz Europa musste nach der DM-Pfeife tanzen, kann man sagen. Ja, ist schon richtig, sie wurde als aggressive Währung wahrgenommen. Das war ja gerade der Ärger! Besonders die Franzosen hatten natürlich starke Bedenken und hätten die D-Mark als gemeinsame Währung nie akzeptiert. Sie wollten die Vorherrschaft der Bundesbank und der D-Mark beenden! Ich habe dann den Vorschlag gemacht: Gut, wenn die D-Mark schon abgeschafft werden soll, dann muss aber was Anständiges an ihre Stelle treten.
Die D-Mark aufgeben
Gute Frage, wie wir den Konflikt beseitigt haben. Ganz einfach (lacht), indem die D-Mark aufgegeben wurde und an ihre Stelle der Euro trat. Wir haben das alles vorbereitet, aber einen genauen Zeitpunkt gab es nicht. Aber letztlich war es dann eine politische Entscheidung. [Die deutsche Wiedervereinigung wurde von England und Frankreich an die Bedingung geknüpft, dass die BRD die DM zugunsten des Euros opfert. Auf dem Straßburger Gipfel, Dez. 89, willigte Kohl gegenüber Präsident Mitterrand ein; Anm. G. G.] Nein, das war alles nicht vorauszusehen. Aber die Europäische Währungsunion ging gut. Das Statut der Europäischen Notenbank ist exzellent! (lacht) Da bin ich eigentlich am stolzesten drauf – was meine Tätigkeit als Bundesbankpräsident angeht –, dass ich das alles so durchgebracht habe. Jean-Claude Trichet – er war damals Leiter des französischen Schatzamts und ist seit 2002 Präsident der Europäischen Notenbank –, der war damals dagegen! Und jetzt ist er ganz für Unabhängigkeit und Preisstabilität. Ganz hart. Macht er hervorragend!! Die haben eine sehr kluge Politik gemacht, die EZB. Der einzige Fehler war, wie sich jetzt zeigt, dass man Länder wie Griechenland aufgenommen hat. Das wird jetzt sehr schwierig werden!“
Auf die Frage, wie das eigentlich mit seinem Rücktritt war damals, infolge des Mauerfalls und der Währungsunion, erzählt er: „Bei meinem Rücktritt haben mehrere Gründe eine Rolle gespielt. Ich war nicht gegen die Wiedervereinigung, ich war nur dagegen, wie es gemacht wurde. Statt für übereilte Währungsunion und Wirtschaftsunion war ich für eine schrittweise Annäherung, es gab den Vorschlag „Sonderwirtschaftszone Ost“, den Hausmann-Plan über 10 Jahre usw., aber das wurde alles plötzlich ignoriert. Ich bin damals nach Ostberlin gefahren, zu Horst Kaminsky, dem Notenbankpräsidenten der DDR – am Tag davor habe ich mit Kohl telefoniert, war bei Waigel in Bonn, da war absolut keine Rede von Währungsunion. Als ich dann rauskam aus der Staatsbank in Ostberlin, da standen haufenweise Journalisten, Fernsehen, und ich sagte: Währungsunion kommt überhaupt nicht infrage, ausgeschlossen!
Das war ja auch die Position der Bundesregierung. Aber zur selben Stunde haben die drei Parteivorsitzenden in Bonn, Kohl Waigel und Lambsdorff, hinter verschlossenen Türen quasi die Währungsunion beschlossen, also Verhandlungen mit der DDR. Einen Tag später wurde es öffentlich. Da war ich natürlich zutiefst empört, dass man mich, in meiner Funktion als Notenbankpräsident, total übergangen hatte bei einer solchen Entscheidung. Das war unglaublich! Das war eine solche Desavouierung der Notenbank! Ich stand da wie ein Dackel, in New York, überall. Die Bundesbank hat dann zwar die Entscheidung loyal mitgetragen, ich habe aber intern, und auch öffentlich, unmissverständlich gewarnt vor dem, was das bedeutet, dieser Umtauschkurs und so riesige Transferleistungen auf unabsehbare Zeit. Man überhörte mich einfach. Später bin ich dann doch zurückgetreten, na ja, das ist lange her.
Die Talfahrt im Osten, das Desaster, ist ja dann auch so eingetreten. Darüber kann die euphorische Rede von der Wiedervereinigung auch nicht hinwegtäuschen. Das war ja keine Wiedervereinigung (lacht), das war eine Übernahme. Und was unsere heutige Situation betrifft? Ich bin sehr besorgt über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Reiche und Arme – nicht nur in Deutschland, auch in Amerika und anderen Ländern –, über die fortdauernde Krise, die zunehmende Arbeitslosigkeit. Die unglaubliche Verschuldung des Staates – grenzenlos! Das hat es so noch nie gegeben. Unser Wohlfahrtssystem ist gefährdet, in hohem Maße gefährdet! Das sind keine guten Aussichten. Ich möchte nicht zu negativ sein, aber ich bin relativ pessimistisch. Es sieht schlecht aus.“