: Freie Fahrt für Dual-Use?
Gutachten-Streit um Forschungsfreiheit an Bremer Uni: Darf Forschungsautonomie beschnitten werden? Und will die Uni Einfluss auf ihre Forschung nehmen?
Bremen taz ■ Eine Art „freiwillige Selbstverstümmelung“ sei das Ganze. Jürgen Friedrichs, Professor für Informatik in Bremen, spart nicht mit Kritik. Der Grund für seinen Unmut ist ein 250-seitiges Gutachten des Bonner Wissenschaftsrechtlers Wolfgang Löwer. Titel: „Rechtsfragen von Tierversuchen nach Bremischem Landesrecht“, erstellt für das Rektorat der Universität Bremen. Löwer sollte klären, inwieweit eine staatliche Einflussnahme auf einzelne Forschungsprojekte mittels Haushaltsentscheidungen zulässig ist. Hintergrund des Gutachtenauftrags war offenbar die zunehmend kritische Haltung der Bremer Politik gegenüber den Affenversuchen des Hirnforschungsinstituts. Fazit von Löwers Untersuchungen: am besten, der Staat bezahlt – und hält sich ansonsten raus.
Friedrichs sieht dies kritisch. Nicht, dass er etwas gegen Forschungsfreiheit habe, versichert er, im Gegenteil, Wissenschaftsautonomie sei ein hohes Gut. Sie müsse aber in demokratischen Prozessen mit einem gesamtgesellschaftlichen Regulierungsanspruch in Einklang gebracht werden. Und in diesem Fall sei die Balance verletzt worden, die Individualautonomie werde deutlich überbewertet. Er hat darum beantragt, ein Gegengutachten einholen zu lassen. Dieses soll feststellen, dass Staat und Universität sehr wohl – auch per Finanzierung – Forschungstätigkeit regulieren dürfen. Nach Meinung von Friedrichs ist dies ohnehin herrschende juristische Lehrmeinung.
Der Autor des ersten Gutachtens, Löwer, kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Er habe lediglich „der Politik die Kompetenz abgesprochen, sich wissenschaftsinterne Entscheidungen durch Finanzierungsinstrumente anzumaßen“.
Reinhard Fischer, scheidender Konrektor für Forschung, sieht darin kein Problem. Nach wie vor sei die Strukturkompetenz der Universität gewährleistet, meint er. Das Konzept des Globalhaushaltes garantiere Eigenverantwortlichkeit beim Einrichten von Instituten und Professuren. Was diese treiben, wenn ihr Lehrstuhl erst einmal eingerichtet ist, möchte Fischer ihnen aber selbst überlassen. Wie sich mit dieser Haltung das seit Jahrzehnten geltende Statut der Universität aufrechterhalten lässt, nachdem Rüstungs- und Dual-Use-Forschung unzulässig sind, weiß er auch nicht. „Das müsste in der Tat geprüft werden.“
Friedrichs wundert derlei Unverzagtheit nicht. Der „neoliberale Zeitgeist“ öffne all jenen Tür und Tor, die schon längst alte Zöpfe im Wissenschaftsbetrieb über Bord werfen wollten, beklagt er sich. Demokratische Regulierungsmechanismen, einst sakrosankt, gerieten zunehmend unter Druck. Um eine „gesellschaftlich aufgestellte“ Universität auf Kurs zu halten, seien diese aber notwendig, so der Informatiker. Am 26. Februar wird im akademischen Senat über seinen Antrag abgestimmt. cja