„Man braucht die nötige Portion Feigheit“

Harald Schmidt, 48, über den Karikaturenstreit, den versprochenen, aber ausgebliebenen Rechtsruck, die Grünen ohne Joschka Fischer und Führers Geburtstag, der ihn vor der Bundeswehr bewahrt hat

INTERVIEW STEFAN KUZMANY
UND HANNAH PILARCZYK

taz: Herr Schmidt, wir würden uns gerne mit Ihnen über die neue Bürgerlichkeit, das Zusammenleben der Kulturen und die Lage der Nation unterhalten.

Harald Schmidt: Ich hatte schon Angst, das Gespräch läge drunter.

Warum sind Sie eigentlich die Instanz, mit der man über solche Fragen sprechen muss – das Ein-Mann-Leitmedium?

Ich lebe davon, dass ich dafür gehalten werde. Ich habe von von der Leyen über Franz-Josef Wagner bis hin zu Bütikofer die ganze Palette abrufbar. Ich kann mich eigentlich zu jedem gewünschten Thema äußern, übrigens auch mit jeder gewünschten Überzeugung. Vielleicht ist es das, was unsere Gesellschaft braucht.

Können Sie uns einen schönen Islamwitz erzählen?

Nein. Davon lasse ich die Finger. Das ist mir zu heikel.

Auch wenn Sie selbst keine solchen Witze machen – würden Sie wenigstens sagen, dass man solche Witze machen dürfen muss?

Aus dieser Diskussion halte ich mich vollkommen raus, weil ich mir nicht ein Problem auf den Tisch ziehen möchte, das ich zum Glück nicht habe.

Als Rudi Carrell 1987 in seiner „Tagesshow“ Chomeini in Dessous grabbeln ließ – Herr Schmidt, war das nicht ein großartiger Gag?

Aber Carrell hat damals einen gefährlichen Ärger bekommen. Und mittlerweile ist das nicht mehr zu steuern. In einer kleinen dänischen Zeitung erscheint die Karikatur und in Indonesien wird die dänische Botschaft gestürmt. Bei Carrell war es noch Ajatollah gegen Carrell. Zwanzig Jahre später leben wir in einer anderen medialen Landschaft.

Sie haben einen gefährlichen Beruf.

Nein. Man muss nur ein bisschen wachsam sein. Sie brauchen die nötige Portion Feigheit. Machen Sie doch lieber Witze über Bush, das ist ungefährlich. Insofern hat die westliche Zivilisation doch einige ganz großartige Errungenschaften hervorgebracht.

Kann man denn sagen, dass es diese Karikaturen geben dürfen muss – auch ohne sie abzudrucken?

Das ist Filigran-Analyse. Die nutzt Ihnen nichts, wenn Sie Leute gegen sich aufgebracht haben, von denen Sie vorher noch gar nicht wussten, dass es die gibt. Sie diskutieren auf Salon-Niveau. Wir reden hier aber von der Möglichkeit: Kawumm neben der Küche. Deswegen sage ich auch: Vorsicht mit glorreichen Selbsteinschätzungen. Wie hätte ich mich im Dritten Reich verhalten? Ich bin nicht gestrickt wie die Geschwister Scholl.

Im besten Fall unauffällig?

Gelinde gesagt. Da kann keiner von sich Zeugnis ablegen, bevor er nicht in die Mündung geguckt hat. Es gibt vielleicht Leute, die sind zum Helden geboren. Ich bin es nicht. Ich habe mich auch noch nie geprügelt. Das System, in dem ich spiele, funktioniert nur, wenn alle die Spielregeln einhalten. Ich bewege mich in einer Demokratie, in der gewisse Grundrechte garantiert sind. Aber wenn Sie sagen, interessiert mich nicht, ich habe ne Knarre, dann funktioniert die ganze Sache nicht mehr.

Da sind wir bei der Frage, die Ihnen wahrscheinlich gestellt wurde, bevor Sie Ihren Zivildienst antreten durften: Wenn nachts ein böser Mann kommt und Ihre Freundin vergewaltigen will, und die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre mit Gewalt …

Die Frage wurde mir nicht gestellt. Sie müssen wissen: Mein Verhandlungsdatum war am 20. April 1978. Und ich komme rein und da sitzen vier Herrschaften und zwei davon haben ein Holzbein aus dem Krieg. Und die erste Frage an mich war: „Wissen Sie, was heute für ein Datum ist?“

Darauf kann man nur falsch antworten.

Wissen Sie, was ich geantwortet habe? „Jawoll, Führers Geburtstag.“ Da muss der Rhythmus stimmen. Da können Sie nicht sagen: „Diese Bestie wurde da leider zur Welt gebracht.“ Und dieser Begriff hat entspannt. Das war aber nichts anderes als eine historische Information. Wissen Abiturienten heute noch, was der 20. April ist?

Leider wissen es viele, die nicht unbedingt Gymnasiasten sind.

Aber ich könnte sagen: Führers Geburtstag hat mich vor der Bundeswehr gerettet.

Über Hitler darf man lachen, über den Papst auch. Wie finden Sie den neuen?

Durch den neuen bin ich dazu gekommen, theologische Bücher zu lesen. Weil es mich fasziniert, wie er durch Gelassenheit die Luft aus den schärfsten Diskussionen lässt. Das ist Fügung: es ist der richtige Papst zur richtigen Zeit. Es gibt ein Bedürfnis in der Bevölkerung nach Halleluja. Nach irgendeiner höheren Macht, die sagt, „Werdet leicht wie die Spatzen“.

Werte, auf die man sich verlassen kann.

Vermutlich auch.

Was sind Ihre Werte?

Ich hab’s nicht so mit Werten. Wenn man es schaffen würde, sich an die Zehn Gebote zu halten, liefe es ja sicher nicht schlecht. Mein Eindruck ist, dass in der Bevölkerung so eine Art von Erleichterung herrscht, dass man jetzt wieder sagen kann: man grillt. Oder: man heiratet. Oder: man hat’s gern gemütlich zu Hause. Ich stelle gerade ein Ironieverbot in den Medien fest. Es ist eine neue Ernsthaftigkeit gefragt. Was soll schlimm daran sein, wenn jemand eine Dauerwelle hat?

Es gibt aber auch neue repressive Momente. Zum Beispiel die Vorschriften, wie Polizistinnen zur WM ausgestattet sein dürfen: Ohrringe aus den Ohren nehmen, keine sichtbaren Tätowierungen, nicht geschminkt sein …

Ich glaube, dieses Thema gibt es nur im Rahmen der wahnsinnig vielen Artikel, die jeden Tag erscheinen müssen. Da ist man froh, dass es so einen Erlass gibt für die Polizei und man ist auch froh, dass Baden-Württemberg so einen Testbogen herausgibt. Eigentlich braucht man das nicht zu wissen.

Das würden Sie gleichsetzten: den Fragebogen zur Einbürgerung und eine Schminkvorschrift für Polizisten?

In gewisser Weise ja. Das ist ein reines Medienthema. Ich weiß nicht, ob dieser Fragebogen irgendjemanden beschäftigt.

Sicherlich jene, die auf der Grundlage dieses Fragebogens eingebürgert werden wollen.

Als alter Brecht-Schüler kann ich nur sagen: Da muss die List helfen. Bei solchen Sachen ist das wie schon bei meiner Verhandlung vor dem Kreiswehrersatzamt: Ich bin sehr gerne bereit, in der Richtung zu antworten, wo ich mir denke, die Antwort hört man gerne.

Sie bieten Ihren Zuschauern keine Position an, sondern Eskapismus.

Ja, selbstverständlich. Das habe ich nie als negativ empfunden.

Man könnte den Eindruck haben, Sie behandelten das gesamte Weltgeschehen. Aber tatsächlich blenden Sie bewusst das aus, was unschön ist.

Meine Großmutter ist letztes Jahr mit 91 Jahren gestorben. Die hat, glaube ich, nicht gewusst, dass es in dem Sinn Tageszeitungen und Politmagazine gibt. Wenn Sie in den Medien arbeiten, glauben Sie natürlich, das müsste Sie alles interessieren. Habe ich auch eine Zeit lang geglaubt. Aber die neueste Verkündigung, mit der ich vor die Gemeinde trete, ist: Schaltet doch einfach ab. Muss euch nicht interessieren. Globalisierung? Morgen läuft eine andere Sau durchs Dorf. Das kenne ich noch aus der Zeit vom Kabarett. Nato-Doppelbeschluss. Robben. Waldsterben. Mururoa-Atoll. Brent-Spar-Bohrinsel – kippt oder kippt nicht? Das Pils braucht immer noch sieben Minuten.

Wenn die Vogelgrippe in Deutschland angekommen ist, dann verschwindet der Vogelgrippe-Globus von Ihrem Schreibtisch?

Haben wir da noch Sendung? Nachdem, was ich da lese, geht die Party dann richtig los. Die Herren von der Charité und vom Robert-Koch-Institut sprechen in Interviews ganz gepflegt von Pandemie. Und da reicht’s ja hinten und vorn nicht mit den Impfstoffen. Da ist ja die Frage: Kriegt der Migrant oder der geschminkte Polizist zuerst die Spritze? Wer von den beiden ist für das Gemeinwohl wichtiger?

Aber da stellt man dann keine Fragen mehr, die die Harald Schmidt Show betreffen.

Glauben Sie mir: auch nach der nächsten Pandemie wird es irgendeine Form von Harald Schmidt Show geben. Schauen Sie, was dieser Globus schon alles mitgemacht hat. Es geht alles immer weiter.

Es ist unglaublich beruhigend, sich mit Ihnen zu unterhalten.

Es ist so. Worüber sich die Leute jetzt aufregen. Das ist auch der Preis für sechzig Jahre kein Krieg auf diesem Territorium. Das ist dieser Quatsch: „Früher haben die Leute Gedichte gelernt.“ Wann war denn „früher“? Als Opa im Kaukasus lag. Es ist jetzt so, wie es ist, aber es ballert hier keiner. Ich habe jetzt gehört, dass dreißig Prozent der Leute unter 30 gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind. Das wird irgendwann Konsequenzen haben, die müssen dann alle tragen. Dann werden wir eben diese Konsequenzen tragen. Was hat man uns nicht alles versprochen? Den Rechtsruck. Wo ist der geblieben? Mittlerweile kein Thema mehr.

Mal sehen: Bei der nächsten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt …

Brauchen wir eine Landtagswahl in Sachsen-Anhalt? Brauchen wir Sachsen-Anhalt? Brauchen wir nicht einfach von Rostock bis Dresden „Boomtown Ost“, ein Bundesland? Ich finde: Ja!

Seit Neuestem gratulieren Sie Zuschauern in Ihrer Show zum Geburtstag, demnächst moderieren Sie mit Waldemar Hartmann in Turin – sind Sie in letzter Zeit sanfter und volkstümlicher geworden?

Ja. Das entspricht meiner Wahrnehmung des gesellschaftlichen Bedürfnisses. Diese neue großkoalitionäre Wärme. Die Leute sind ein bisschen des Dauersarkasmus müde. Abgesehen davon ist es für mich wesentlich anstrengender, jemandem zu gratulieren, und geradezu sensationell neu, so eine Seite zu zeigen.

Verurteilen Sie mich nicht, wenn ich noch vor dem Sommer warme Suppe verteile.

Man weiß ja nie: Ist das jetzt eine ehrliche Wandlung der Bühnenfigur Harald Schmidt? Oder ist das einfach die nächste Stufe einer noch viel größer angelegten Verarsche?

Das weiß ich auch nicht. Für mich wird es ja erst dann wirklich kritisch, wenn man aufhört, bei mir zu interpretieren. Ich mache einfach. Und solange noch interpretiert wird, stimmt mein Marktwert. Wenn Sie nur noch Sendungen haben, die eins zu eins sind, was wollen Sie dann noch schreiben? Dann kommt man irgendwann auf die Nummer, Carmen Nebel ganz toll zu finden.

Sie sind bei Karl Moik mit Ihren Eltern aufgetreten.

Das war eine klare Sache. Moik ist der Moderator für meine Eltern, die gucken jeden Musikantenstadl, und das war für die die größte Freude, die ich ihnen überhaupt machen konnte. Dabei habe ich festgestellt, dass ich viele in der Branche in meinem Alter und jünger sehr verunsichert habe, weil man eigentlich gerne kaschieren möchte, wie die eigenen Eltern sind. Die kommen entweder nur heimlich zu Besuch oder der Zug kommt nachts an aus Oldenburg, damit das nicht gesehen wird. Aber nein: Meine Eltern gucken Volksmusik und feiern demnächst Goldene Hochzeit. Das ist dann irgendwie irritierend: Man sollte eigentlich ein gespaltenes Verhältnis zu seinen Eltern haben oder das kritisch sehen, oder die Eltern sind geschieden oder Patchwork. Ich bediene da eine volle CDU-Familienmentalität.

Versöhnen statt spalten.

Nö. Gar nicht erst spalten. Dauerversöhnt sein.

Freuen sich Ihre Eltern schon auf Ihre gemeinsame Moderation mit Herrn Hartmann?

Ich glaube schon. Turin, Olympia, ist ja auch wieder ein großes weltweites Ereignis. Ich glaube, da sind sie schon stolz.

Weiter interpretiert könnte man sagen: die neue Nähe, die Affirmation, hat ihre Entsprechung in den Moderationen von Herrn Hartmann: die Duz-Maschine, die sich distanzlos heranschmeißt.

Aber das ist doch auch ein Klischee. Würden Sie noch „Duz-Maschine“ schreiben? Meiner Meinung nach holt das der Regionalsport aus dem Archiv. Aber man darf nicht unterschätzen, was Waldi geleistet hat bei diesem Interview mit Rudi Völler: Plötzlich rastet der Bundestrainer aus – und zwar live. Das hat Waldi grandios gemeistert. Aber das Thema Fußball ist für mich eigentlich satirisch sowieso durch.

Warum?

Weil es zu platt geworden ist. Zu businessmäßig. Es fehlen Leute wie Basler, es fehlen Leute wie Matthäus, es fehlen Trainer wie Werner Lorant, die das Ganze gefüttert haben.

Es fehlen Ihnen die Persönlichkeiten.

Diese Art von Persönlichkeiten. Das ist auch ein dummes Klischee in der Politik, wenn es immer heißt: Früher waren die Politiker kantiger. Das ist so, als würde man Westerwelle vorwerfen, dass er nicht in Stalingrad war. Die Politiker sind heute eben so, wie die Zeit ist, und die Frage ist doch, ob nicht alle heute damit besser fahren, dass die Politiker so sind, wie sie sind.

Sie haben einmal gesagt: Die Grünen ohne Joschka Fischer sind wie Queen ohne Freddie Mercury. Wer wäre denn der Paul Rodgers der Grünen, der da langsam mal zu Gastauftritten auftauchen müsste?

Es gibt da ja so ein paar Paul Rodgers.

Aber die haben ganz dünne Stimmchen.

Da tut man Paul Rodgers Unrecht. Ich habe ihn auf 3sat mit Queen gesehen, und der macht das gut. Aber derselbe Song ist eine völlig andere Musik. Teilweise hat es mich fast ein wenig an Country erinnert. Die Grünen haben jetzt noch nicht mal einen Paul Rodgers. Aber selbst wenn sie einen Paul Rodgers hätten, sitzt man da und denkt, er macht’s gut. Aber mit Freddie war’s halt richtig geil. Man denkt Freddie immer mit.

Was empfehlen Sie denn Joschka Fischer für einen neuen Beruf?

Einem Joschka Fischer kann man nichts empfehlen. Ich hoffe, er steigt hoch genug wieder ein. Das kann nur etwas von mindestens globaler Bedeutung sein. Ich wünsche es mir eher universell. Aber global mit Aussicht auf universell, das wäre genau richtig. Übrigens die Grünen: Wie schnell es mit denen gegangen ist! Wenn ich jetzt bei den Grünen in eine Pressekonferenz reingucke, das sieht aus wie bei mir, als ich als Kabarettist angefangen habe: es ist für vierzig Leute bestuhlt und achtzehn sind da. Und davon sind noch fünf Verwandte. Eine Partei, die die Gletscher bremsen sollte – und jetzt ist die gar nicht mehr vorhanden. So schnell kann es in unserer wunderbaren Medienlandschaft gehen.

Herr Schmidt, was treibt Sie noch an?

In der Hall of Bösewichter bin ich schon vertreten. Und jetzt ist die Frage: Wie verbringe ich die restlichen 42 Jahre meines Berufslebens? Muss ich jetzt bei jedem Nachwuchsbösewicht sagen: Hoppla, da wächst einer, da werde ich jetzt noch böser? Genauso böse war ich schon mal vor zwölf Jahren, das ist alles zu anstrengend. Ich merke halt, wie mir der Ehrgeiz langsam völlig abhanden kommt.

Keine Ziele mehr?

Für mich geht’s jetzt um den privaten Spaß. Die Freude an der Arbeit durch das Austesten von neuen Möglichkeiten. Ich sehe mich jetzt als so eine Art Jubel-Deutscher. Ich möchte jetzt eigentlich Menschen zujubeln. Und dafür ist der Sport die geniale Plattform.

Normalerweise läuft die Karriere im Fernsehen anders: erst Sportreporter, dann großer Unterhaltungsmoderator.

Ich wechsle ja nicht das Genre. Ich sage nur: Wozu soll ich mir krampfhaft 25 Minuten eigenes Material überlegen, wenn ich 24 Minuten lang einen Goldmedaillengewinner zeigen kann und in der letzten Minute selber sage: Sepp, das war ja riesig!