Die ewig Weggesperrten von Guantánamo

USA Per Gerichtsentscheid erwirkt eine US-Zeitung, dass die Regierung die Liste mit den Namen jener 46 Menschen veröffentlichen muss, die ohne Verfahren für immer in dem Lager einsitzen sollen

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Elf Jahre lang waren sie: „zu gefährlich, um entlassen zu werden. Unmöglich, sie anzuklagen“. Seit Montag haben die 46 Männer, um die es geht, immerhin Namen und Staatsangehörigkeiten. Ein Gericht in der US-Hauptstadt Washington, das von der Zeitung Miami Herald und von der Rechtsabteilung der Universität Yale angerufen worden war, hat die US-Regierung gezwungen, die Liste dieser 46 Gefangenen im Lager von Guantánamo zu veröffentlichen.

Die meisten Betroffenen sind seit mehr als elf Jahren in Guantánamo. Die mit 26 Männern größte Gruppe unter ihnen stammt aus Jemen. Zwölf stammen aus Afghanistan, drei aus Saudi-Arabien, zwei aus Kuwait und zwei aus Libyen. Und je einer aus Kenia, Marokko und Somalia.

Für sie ändert die Gerichtsentscheidung wenig. Sie werden lebenslänglich, und ohne Chance auf Begnadigung, eingekerkert bleiben. Auch wenn keiner von ihnen je verurteilt worden ist. Die USA halten sie für „gefährlich“, können ihnen aber keinen Prozess machen und können den RichterInnen nichts vorlegen, weil ihre Beweise, so vorhanden, unter illegalen Umständen zustande gekommen ist. In aller Regel durch Folter.

Die Situation der 46 Männer ist nur eine von unzähligen Anomalien in dem Gefangenenlager, das sich auf einem US-Militärstützpunkt im Südosten von Kuba und außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit befindet. Expräsident George W Bush hat das Lager für im Ausland gefangene Terrorismusverdächtige im Jahr 2002 eröffnet. Präsident Barack Obama hat bei seinem ersten Amtsantritt im Januar 2009 versprochen, er werde es binnen eines Jahres schließen, führt es aber weiter.

In Interviews – zuletzt am Montag dieser Woche – beteuert er immer noch, er wolle das Lager weiterhin schließen. Und gibt meist der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus die Verantwortung dafür, dass er es nicht tut.

An einem Anfang Februar in dem Lager begonnenen Hungerstreik beteiligen sich gegenwärtig mindestens 103 – nach Angaben von AnwältInnen deutlich mehr – der insgesamt 166 Gefangenen. Mindestens 37 Hungerstreikende werden in einem extrem schmerzhaften Verfahren, das gegen internationale Konventionen verstößt, zwangsernährt. Menschenrechtsgruppen protestieren gegen die Zwangsernährung. Zuletzt forderte das New England Journal of Medicine Mitte Juni die Militärärzte in Guantánamo auf, keine Zwangsbehandlung durchzuführen, weil das gegen die „medizinische Ethik“ verstoße. In den USA sind mindestens elf Personen in einen bereits mehr als einen Monat währenden Solidaritätshungerstreik getreten. Die US-Regierung hatte wochenlang behauptet, der Hungerstreik in Guantánamo sei die Aktion einer kleinen Minderheit. Inzwischen versucht sie nicht mehr, das Ausmaß des Protestes zu leugnen. Doch an den Bedingungen, die zu dem Hungerstreik geführt haben, hat sich nichts geändert.

Nach einer sechsmonatigen Vakanz auf dem Posten hat Präsident Obama Anfang dieser Woche wieder einen Guantánamo-Beauftragten nominiert. Der Anwalt Clifford Sloan, ein langjähriger Vertrauter von Außenminister John Kerry, soll unter anderem die „Heimführung“ oder die „Umsiedlung“ von 86 Gefangenen organisieren. Sie alle haben vor Jahren eine „Freigabe“ erhalten. Bedeutet: nach Ansicht von US-Gerichten müssen sie – ohne Prozess und ohne weitere Gefangenschaft – sofort in ihre Heimatländer entlassen werden.

Doch der Kongress verhindert ihren Transfer mit der Begründung, ihre Heimatländer (insbesondere Jemen) seien „nicht sicher“. Bei seiner Rede zur nationalen Sicherheit Ende Mai hatte Obama angekündigt, das Memorandum der Nichtüberstellung nach Jemen aufzuheben und zu Einzelfallprüfungen überzugehen. Nach Ansicht von AnwältInnen könnte Präsident Obama mit seiner Unterschrift den Transfer durchsetzen. Aber er tut es nicht.

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