: „Wir spüren sehr viel Trauer, aber auch Wut“
In Berlin wird es keine gewaltsamen Proteste wegen der dänischen Islam-Karikaturen geben, glauben Chaban Salih und Salah Bouabdallah vom Verein Inssan. Die deutschen Muslime suchten nach demokratischen Ausdrucksformen
taz: Herr Salih, Herr Bouabdallah, wie beurteilen Sie persönlich die Karikaturen, die weltweit Proteste von Muslimen ausgelöst haben?
Chaban Salih: Mich haben sie verletzt. Der Prophet Mohammed ist für uns ein ganz besonderer Mensch, unser größtes Vorbild. Wenn er in einer Karikatur mit Terroristen gleichgesetzt wird, macht mich das traurig.
Salah Bouabdallah: Wir haben von klein auf gelernt, dass man den Propheten nicht abbilden darf, nicht einmal in schönen Bildern. Wenn man ihn dann auf so hässliche Weise abgebildet sieht, ist man sehr betroffen.
Aber es gibt den Grundsatz der Meinungsfreiheit.
Bouabdallah: Meinungs- und Pressefreiheit sind keine absoluten Freiheiten. Freiheit hat ihre Grenzen da, wo sie anderen schadet. Deshalb kann ich diese Erklärung nicht akzeptieren. Und es kann auch nicht sein, dass Freiheit nur von einer Gruppe definiert wird, und die anderen müssen das akzeptieren. Das ist der eigentliche Kernkonflikt.
Salih: Meinungsfreiheit darf nicht so weit gehen, dass der öffentliche Frieden in Gefahr gerät. Und es ist ein Unterschied, ob die Mehrheit über sich selbst oder über eine Minderheit lacht. Damit muss man sehr vorsichtig umgehen.
Sehen Sie denn den öffentlichen Frieden hier gefährdet?
Salih: Ich glaube nicht, dass es in Berlin zu Gewaltakten kommt – und schon gar nicht von Massen. Dass eine Einzelperson durchdreht, dagegen gibt es keine Garantie. Wir spüren in den Gemeinden viel Trauer und Verletztheit, aber auch Wut. Wir versuchen, diese Emotionen dahin zu lenken, dass sie nicht in Gewalt, sondern in demokratische Mittel münden.
Ist das schwer?
Salih: Ja. Denn die Muslime sind noch keine Profis darin, kreative Wege zu entwickeln, mit denen sie ihren Protest zum Ausdruck bringen können. Es ist schwer für uns, in der Öffentlichkeit und bei den Medien Gehör zu finden. Wir müssen immer wieder darüber nachdenken, wie wir erreichen, dass wir auch gehört werden.
Bouabdallah: Das Vertrauen vieler Muslime in diese Gesellschaft und ihre Werte ist gestört. Es kommt vielen so vor, als würde sie diese Werte nur auf sich selbst anwenden und nicht auf andere.
Berlins Muslime kommen aus vielen Ländern. Ist es schwer, sie unter einen Hut zu bringen?
Salih: Ja. Aber es geht. In der Initiative Berliner Muslime arbeiten deutsche, türkische, arabische, pakistanische, bosnische, indonesische und andere Muslime zusammen. Immer mehr erkennen, dass hier ihre Heimat ist. Und wenn man in diesem Land ein eigenes muslimisches Bewusstsein aufbauen will, gehört dazu auch, Kultur und Werte dieses Landes mit dem Muslimsein zu verbinden. Es ist noch ein schwieriger Weg. Aber immer mehr Muslime machen mit.
Wann wird es denn einen deutschen Islam geben?
Bouabdallah: Den gibt es schon.
Salih: Manches fehlt noch. Wir brauchen zum Beispiel dringend deutsche islamische Theologen, die hier studiert haben und eigene Antworten auf die Herausforderungen in unserem Alltag hier finden.
Und was halten Sie als deutsche Muslime vom Plan des Iran, einen Karikaturenwettbewerb zum Thema Holocaust zu veranstalten?
Bouabdallah: Da gilt das gleiche Prinzip, das wir am Anfang besprochen haben. Die Freiheit, die Pressefreiheit endet da, wo ich andere verletzte.
Salih: Wir als Muslime wollen dagegenstehen, wenn irgendwo Unrecht passiert. Das ist ein Grundprinzip. Und wenn Muslime Unrecht tun, kritisieren wir das genauso, wie wenn das Andersgläubige tun.
Darf man denn überhaupt keine Witze über Religion machen?
Bouabdallah: Es gibt sehr schöne politische Karikaturen in islamischen Ländern. Aber man darf nicht religiöse Werte verletzten. Das ist für Muslime eine Sünde.
Salih: Wir machen Witze über unsere Imame und andere Gelehrte. Darüber können wir lachen. Aber es gibt eben einige wenige Tabus in unserer Religion, mit denen wir nicht so gerne spaßen.
Interview: Alke Wierth