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Archiv-Artikel

Schuss vor den Bug

Der Berlinale-Leiter Dieter Kosslick ist ein unermüdlicher Lobbyist für den deutschen Film. Die Freude darüber ist unter Filmschaffenden jedoch geteilt

VON DAVID DENK

Auch bei der fünften Berlinale unter seiner Leitung setzt Dieter Kosslick seinen Kurs unbeirrt fort: 55 deutsche Filmproduktionen laufen im Programm der 56. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Das sind zwar nicht, wie immer wieder behauptet, so viele wie nie zuvor (2005 waren es 67). Und auch vier deutsche Wettbewerbsbeiträge sind kein Novum – bei Kosslicks Antrittsfestival 2002 waren es genauso viele. Neu ist lediglich die Euphorie für den nach der großen Zeit der Autorenfilmer in den Siebzigerjahren lange dahinsiechenden deutschen Film.

Doch ist die Freude darüber unter den Filmschaffenden nicht ungeteilt. Kosslicks Lobbyarbeit für deutsche Produktionen beschädige die Autorität der Filmauswahl, ist hinter vorgehaltener Hand immer wieder zu hören. Öffentlich äußern möchte dies jedoch lieber niemand, doch die Kritik ist eindeutig. Zwar zeige Kosslik mit seinem Engagement für den deutschen Film Profil, eine von Kritikern beim Festival an sich immer wieder vermisste Eigenschaft. Doch das sei vor allem diffus politisch motiviert, er zeige er viele gut gemeinte, aber wenige wirklich gute Filme, der Wettbewerb sei voller Kompromisse, um es allen recht zu machen. Kurzum, es fehle an einem unverwechselbaren cineastischen Profil.

„Wir sind ein Filmfestival in Deutschland, da ist es doch klar, dass wir die guten deutschen Filme zeigen“, verteidigte Kosslick im Berliner Tagesspiegel seinen Kurs. „Sollte sich Unmut über die deutsche Bugwelle aufbauen, müssen wir das aushalten.“

Die deutsche Bugwelle – in dieser Formulierung steckt der ganze Übermut der Branche. Bisheriger Höhepunkt waren kürzlich die Reaktionen auf die Oscar-Nominierung von Marc Rothemunds „Sophie Scholl – die letzten Tage“: die dritte Chance in vier Jahren – wir sind wieder wer!

Kritische Stimmen kommen auch aus dem Ausland. Jean-Michel Frodon, Chefredakteur der französischen Filmzeitschrift Cahiers du cinéma, findet den deutschen Film international schwer vermittelbar. „Allgemein jedoch überwiegt der Eindruck, dass viele Filmemacher aufgeblasene, fernsehartige Dramen, Komödien oder vermeintlich moderne, videoclipartige Filme drehen, von denen einige in Deutschland kommerziell ganz gut einschlagen, aber überhaupt keine Exportchancen haben“, sagte Frodon der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Parallel dazu existieren einige sehr interessante Regisseure, die im eigenen Land nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen.“ Auch sein italienischer Kollege Luciano Barisone, Filmkritiker, Direktor des kleinen Alba-Filmfestivals und Mitglied des Auswahlkomitees von Venedig, ist besonders neugierig auf die Arbeiten eher unbekannter Namen, zum Beispiel „Montag kommen die Fenster“ von Ulrich Köhler, „Aus der Ferne“ von Thomas Arslan und „Sehnsucht“ von Valeska Griesebach.

„Das jahrelange gegenseitige Desinteresse zwischen Wettbewerb und Panorama und Forum, wo immer schon deutsche Filme gelaufen sind, ist vorbei“, sagt Alfred Holighaus, Leiter der von Kosslick 2002 gegründeten Sektion „Perspektive Deutsches Kino“. Als Beleg dafür gilt etwa der Mut der Verantwortlichen, Valeska Griesebachs kompromissloses Provinzdrama „Sehnsucht“ im Wettbewerb zu zeigen.

Auf die Frage, warum dort vier deutsche Filme laufen, antwortet Perspektive-Leiter Alfred Holighaus launig: „Weil wir keine sieben einladen konnten.“ Natürlich sei ihnen dabei auch der Zufall zu Hilfe gekommen, aber eben nicht nur. „Es ist Zufall, dass so viele Filme rechtzeitig fertig geworden sind“, sagt er, „aber es ist kein Zufall, dass die richtigen Leute gerade die richtigen Ideen haben.“ Holighaus beobachtet eine Konzentration auch kommerziell sehr erfolgreicher deutscher Filme, 2005 alleine acht an der Zahl, die etwa eine Million Kinozuschauer hatten. Eine Neuigkeit, in die er große Hoffnungen setzt: „Wenn das so weitergeht, hat der deutsche Film den Durchbruch geschafft – zumindest national, international wäre ich da noch etwas vorsichtiger.“ Die drei im Ausland erfolgreichsten deutschen Filme der letzten Jahre sind „Der Untergang“, der in etwa 100 Länder verkauft wurde, „Good Bye, Lenin!“ (rund 70) und „Sophie Scholl“ (etwa 50).

„Berlin ist als Festival und Marktplatz international sehr wichtig geworden“, sagt Mariette Rissenbeek, Sprecherin von German Films, dem Informations- und Beratungszentrum für die internationale Verbreitung deutscher Filme. „Wegen ihrer sehr großen Bandbreite haben deutsche Filme im Ausland an Ansehen und Anerkennung gewonnen“, sie seien „teilweise sogar überzeugender als manche internationale Produktion“. Rissenbeek gibt jedoch zu bedenken: „Für einen Erfolg verantwortlich ist nicht die Qualität des Films alleine, sondern auch die Möglichkeiten, ihn zu vermarkten.“ Dafür hat die Berlinale den European Film Market eingerichtet, der in diesem Jahr weiter expandiert. Die Reihe „German Cinema“ präsentiert dort wieder Filme, die in Deutschland schon im Kino gestartet sind „und sich für eine internationale Auswertung empfohlen haben“, heißt es auf der Homepage.

Mithalten können da nur wenige, schrieb Volker Schlöndorff schon 2003 in einem Text für die Zeit: „Es fehlt die Handschrift, aber vor allem fehlt es an einer Haltung zur Welt im Allgemeinen, zum Leben und zum Kino im Besonderen. Es überwiegt das Melodramatische, das Genre überhaupt, es gibt wenig Spezifisches, was nur von hier kommen kann und doch universell ist.“