: In der Tradition des Kalten Kriegs
ATOMWAFFEN Barack Obama will die Nukleararsenale von USA und Russland reduzieren. Das ändert aber nur wenig an der weltweiten Verbreitung der Waffen. Und nichts an der Zerstörungskraft der beiden Großmächte
VON ANDREAS ZUMACH
GENF taz | Der Vorschlag, die Zahl einsatzbereiter amerikanischer und russischer Atomwaffen um ein Drittel zu reduzieren, klingt weitreichend. Tatsächlich aber wird US-Präsident Barack Obama auf dem Feld der Kontrolle und Abrüstung atomarer Massenvernichtungsmittel wahrscheinlich noch weniger bewirken als sein Vorgänger John F. Kennedy vor 50 Jahren mit seiner „Ich bin ein Berliner“-Rede. Kennedy hatte unter dem Eindruck der Kuba-Raketenkrise vom Oktober 1962 , als die Welt erstmals am Abgrund eines atomaren Kriegs zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion stand, immerhin den Anstoß gegeben für den ersten atomaren Rüstungskontrollvertrag der Geschichte.
Wenige Wochen nach Kennedys Berliner Auftritt vereinbarten Washington und Moskau mit dem „Teilweisen atomaren Testbann-Vertrag“ (PTBT), Sprengtests nicht mehr in der Atmosphäre, unter Wasser oder im Weltraum durchzuführen, sondern nur noch unterirdisch. Denn im Untergrund konnten damals nur die beiden Atomwaffenmächte USA und die Sowjetunion testen.
Doch der Exklusivanspruch der beiden Hauptkontrahenten des Kalten Kriegs scheiterte. China und Frankreich verweigerten die Unterschrift unter den PTBT und entwickelten bis Ende der 60er Jahre eigene Atomwaffen. Zugleich erhielt Großbritannien, wichtigster europäischer Verbündeter Washingtons, Atomwaffen aus den USA.
Gemeinsam sorgten die fünf ständigen Vetomächte des UN-Sicherheitsrats dafür, dass der bis heute von 186 Staaten ratifizierte „Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen“ (NPT) – im Deutschen auch „Atomwaffensperrvertrag“ genannt – nicht für Länder gilt, die schon vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1970 über Atomwaffen verfügten. Und alle fünf missachten bis heute ihre Verpflichtung aus dem NPT zur vollständigen Abrüstung ihrer Atomwaffen.
Diese Doppelmoral ist der Hauptgrund, warum der NPT die Weiterverbreitung der Waffen seit 1970 nicht verhindern konnte. Mit Indien, Pakistan und Israel gibt es inzwischen drei weitere Atomwaffenmächte. Sie sind dem NPT nie beigetreten. Pakistans Atomwaffenarsenal wächst derzeit am schnellsten. Das Land sieht sich durch den Nachbarn Indien bedroht.
Indien wiederum verweist in der Genfer Abrüstungskonferenz der UNO stets auf die unerfüllten Abrüstungsverpflichtungen der fünf. Indien widersetzt sich am vehementesten allen Vorschlägen, die Herstellung von atomwaffenfähigem Spaltmaterial durch Hochanreicherung von Uran oder Wiederaufarbeitung von Plutonium durch ein internationales Abkommen zu verbieten.
Nordkorea hat seine Mitgliedschaft im NPT suspendiert und verfügt nach mehreren Testversuchen inzwischen über mindestens zwei Atomsprengköpfe, allerdings noch nicht über einsatzfähige Nuklearwaffen.
Südafrika hatte während des Apartheidregimes ein Programm zur Entwicklung von Atomwaffen, Libyen sogar bis zum Jahr 2004. Beide Staaten haben ihre Programme unter Kontrolle der für die Überwachung des NPT zuständigen Internationalen Atomenergieagentur in Wien nachweislich eingestellt.
Iran, Mitglied des NPT seit 1976, steht unter Verdacht, unter dem Deckmantel eines zivilen Programms zur Erzeugung nuklearer Energie ein verbotenes militärisches Programm zur Entwicklung von Atomwaffen zu betreiben.
In Brasilien gibt es in Teilen der politischen und militärischen Eliten des Landes Stimmen, die für eine atomare Bewaffnung plädieren, nicht zuletzt, um den Anspruch des gewichtigsten Schwellenlandes in Lateinamerika auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu untermauern.
An all diesen Problemlagen wird Obamas Initiative nichts ändern. Denn sie beschränkt sich – ganz in der Tradition des Kalten Kriegs – auf die atomaren Arsenale Washingtons und Moskaus. Zudem wird unterschlagen, dass selbst bei einer Umsetzung der Reduzierung von jeweils 1.550 auf 1.000 einsatzbereite Sprengköpfe der USA und Russlands die „Modernisierung“ der Arsenale auf beiden Seiten weiterbetrieben wird. Ziel bleibt die erhöhte militärische Zerstörungsfähigkeit.
Das gilt auch für die in der Eifel stationierten substrategischen Atombomben der USA vom Typ B-61. Einen Vorschlag zum europaweiten Abbau aller substrategischen Systeme – bei denen Russland zumindest zahlenmäßig überlegen ist – will Obama nach Absprache mit den europäischen Nato-Partnern mit seiner Initiative zur Reduzierung der strategischen Sprengköpfe verknüpfen. Das könnte im Ergebnis auf einen neuen „Nato-Doppelbeschluss“ ähnlich jenem von 1979 hinauslaufen – und auf ein Njet Moskaus zu dem ganzen Paket.