Stille vor dem Startschuss

Olympia scheint die Italiener kaum zu interessieren. Nur ein Thema schafft es in die Schlagzeilen: die Sicherheitslage

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Keine Fotoapparate, keine Videokameras, auch keine Videohandys – die Auflagen waren strikt für die 35.000 Zuschauer, die am Mittwoch im Turiner Olympiastadion die Generalprobe zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele verfolgen durften. Schließlich sollen die spektakulären Bilder von Eisläufern im Feuerschweif oder von der Botticelli-Venus, die aus der Muschel steigt, von den Sportlern, die durch einen Triumphbogen ins Stadion einlaufen, erst heute um die Welt gehen.

Und tatsächlich: Kein Bild kam in die Zeitung, nur der Turiner La Stampa fand die Generalprobe überhaupt der Erwähnung wert. Hätte das Schweigen nur der Generalprobe gegolten – die Organisatoren könnten sich freuen. Weniger erfreulich ist, dass die Medien die Sache mit der Sperrfrist wohl missverstanden haben: In ganz Italien scheint es, als sei über die Olympischen Spiele eine Nachrichtensperre verhängt worden.

Awacs über Turin

In Turin selbst ist seit Wochen natürlich alles anders. Alle paar Meter weht eine Fahne mit den fünf Ringen, auf jeder Plakatwand wirbt irgendein Sponsor für Olympia-Handys, -Colas oder -Burger, und in dicken gelben Lettern auf dem Asphalt ist die Sonderspur für Busse und Taxis als „Olympiaspur“ ausgewiesen. Aber Turin scheint in irgendeinem andren Land zu liegen, nicht in Italien.

Nur ein Thema rund um Olympia schaffte es bisher in die Öffentlichkeit: Sicherheit. Nicht so sehr wegen al-Qaida, auch wenn während der Spiele der Luftraum per Awacs-Flugzeug und Satellit überwacht wird, neben der Polizei Fallschirmspringer und Alpenjäger des italienischen Heers mobilisiert sind und die dänischen und norwegischen Sportler jetzt unter Sonderbewachung stehen. Erst am Mittwoch wieder verkündete Innenminister Giuseppe Pisanu im Parlament, wo er das Hauptrisiko sieht: bei den Globalisierungskritikern der lokalen Turiner Protestszene, die – ganz wie ihr Bürgermeister, aber mit anderen Absichten – die Spiele als Fenster zur Welt betrachten.

In der Tat war schon der Fackellauf quer durch Italien zum Hindernisrennen geworden. Immer wieder versuchten Störer, das olympische Feuer auszublasen. Die einen, weil sie sich über den Sponsor Coca-Cola ärgerten, der in Kolumbien Gewerkschafter unterdrückt, die anderen, um gegen die geplante Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke westlich von Turin zu protestieren. In der Stadt selbst hat sich das Komitee „Die Kehrseite der Medaille“ formiert. Das bunte Bündnis protestiert zusätzlich gegen Strafverschärfungen für Haschisch-Konsumenten und das Turiner Abschiebelager für illegale Immigranten. Autonome, Basisgewerkschafter, Hausbesetzer und auch die zum Prodi-Bündnis gehörende „Rifondazione Comunista“ haben schon Störaktionen auf den letzten Etappen des Fackellaufs und bei dem – für heute geplanten, aber noch nicht sicheren – Besuch von US-Präsidentengattin Laura Bush in der Turiner Universität angekündigt.

Wenn sie denn überhaupt zum Stören kommen. Turin ist mit Polizisten förmlich zugestellt. Systematisch hat die Polizei in den letzten Wochen Jagd auf illegale Einwanderer gemacht und sie zu Dutzenden abgeschoben; Schwarzafrikaner oder Araber können kaum einen Schritt in der Stadt tun, ohne kontrolliert zu werden. Die fliegenden Händler mit den gefälschten Gucci-Täschchen und den DVD-Raubkopien sind schon seit Wochen aus dem Stadtbild verschwunden. Zugleich waren Malerkolonnen in der Stadt unterwegs, um Graffiti und störende politische Parolen an den Häuserwänden zu überpinseln.

Chance auf ein neues Image

Nicht nur wegen der Fassadenverschönerung freuen sich die meisten Turiner über die Olympischen Spiele: Ihre Stadt steht als Siegerin schon heute fest. Gut zwei der mehr als drei Milliarden für die Spiele ausgegebenen Euro sind in Infrastruktur, in die neue U-Bahn, in Straßen, unterirdische Parkhäuser und Eisenbahnen gesteckt worden. Ob damit die große Wende weg von der Fiat-Ära, weg vom unverdienten Image einer hässlichen Industriestadt gelingt, ist zwar noch offen. Aber Turin wird sich schöner und moderner als vorher präsentieren, wenn Ende Februar die teils ziemlich kitschig ausgefallenen Olympia-Installationen von den Hauptplätzen der Stadt abmontiert sind.

Bloß ob auch Italien in den nächsten 16 Tagen auf die Hauptstadt des Piemont schaut – das haben die Turiner nicht in der Hand. Ihre ganze Hoffnung gilt Giorgio Rocca. Das neue Skiwunder soll wie 1988 und dann 1992 Alberto Tomba („Tomba la Bomba“) für Goldmedaillen bei den Abfahrts- und Slalomwettbewerben sorgen – und dafür, dass die Italiener aus ihrer merkwürdigen Starre erwachen, die sie im Vorfeld der Winterspiele von Turin befallen hat.