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Archiv-Artikel

„Sparen? Ich hab‘s versucht“

„Als jetzt Bad Reichenhall kam, habe ich mir gedacht: Bertram, stell Dir mal vor, bei uns im Schwimmbad wäre so etwas passiert.“„Ich finde, die große Politik könnte öfter auf einen Bürgermeister hören, der einen guten Vorschlag macht.“

INTERVIEW KLAUS JANSEN

taz: Herr Bertram, wann haben Sie das letzte Mal etwas auf Pump gekauft?

Rudi Bertram: Noch nie. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich das nicht brauche. Ich habe mir auch ohne neue Schulden in den vergangenen Jahren Dinge anschaffen können, mein Haus saniert und renoviert. Das hätte ich aber auch gemacht, wenn mein Erspartes dafür nicht gereicht hätte – zur Not auch auf Pump. Denn sonst wäre die Substanz meines Hauses und meines Autos so weit heruntergekommen, dass es für mich dann irgendwann richtig teuer geworden wäre.

Für Ihre Stadt wollen Sie jetzt geborgtes Geld ausgeben. Warum?

Wir haben einen Investitionsstau von 60 bis 80 Millionen Euro im Straßen- und Kanalbau sowie bei den Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Den will ich mit Krediten über einen Zeitraum von mindestens fünf oder sechs Jahren Stück für Stück abarbeiten. Wir haben hier in Eschweiler Arbeit ohne Ende. Wenn die nicht angepackt wird, entsteht ein riesengroßer Wertverlust. An unseren Schulen gibt es blaue Fertigbauklassen, die sind über 30 Jahre alt. Wenn wir von besserer Bildung sprechen, dann gehören dazu vernünftige Rahmenbedingungen – und das heißt gute Schulgebäude und eine gute Ausstattung.

Diese Probleme haben andere Städte auch – und sparen trotzdem. Warum halten Sie davon nichts?

Ich habe es mit Sparen versucht. Als ich 1999 als Bürgermeister angefangen habe, hatten wir eine Pro-Kopf-Verschuldung von 2.441 Euro. Jetzt liegen wir bei 1.737 Euro. Um das zu schaffen, haben wir als Stadt eigene Gesellschaften, GmbHs mit städtischer Mehrheit gegründet und Aufgaben ausgelagert: den sozialen Wohnungsbau und unseren Bauhofbetriebshof mit den Bereichen Abwasser, Abfall und Straßenreinigung – und auch die Friedhöfe.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal gedacht, dass das nichts mehr bringt?

Spätestens im Januar 2005, als nach der Einführung von Hartz IV die neuen Arbeitslosenzahlen kamen. Wir haben mittlerweile 16,6 Prozent Arbeitslosigkeit, und unsere Stadt fällt als Investor fast völlig aus. Dann kam vor ein paar Wochen die Katastrophe mit der eingestürzten Eishalle in Bad Reichenhall. Ich habe mich dabei an ein Hallen- und Freibad in Eschweiler erinnert, das ich 2003 geschlossen habe. Über lange Zeit wurden erforderliche Sanierungen aufgeschoben, nur das Notdürftigste repariert. Mehrere Jahre hat ein Schwimmverein das Bad betrieben, mit großem Engagement aber ohne viel Geld und immer mit der Hoffnung, da passiert schon nichts. Neben dem schlechten baulichen Zustand wurde am Ende noch eine PCB-Belastung festgestellt. Dann habe ich die Reißleine gezogen und die Schließung verfügt. Sie können sich vorstellen, was das für einen Aufschrei in der Stadt gegeben hat, bis hin zu einem letztlich erfolglosen Bürgerbegehren für den Erhalt des Bades. Aber als jetzt Bad Reichenhall kam, habe ich gedacht: Bertram, stell Dir mal vor, bei uns im Schwimmbad wäre so etwas passiert. Was wird aus der Infrastruktur unserer Städte, wenn wir weiter so mit ihnen umgehen?

Ist es denn richtig, in dieser Situation neue Schulden aufzunehmen?

Ich will jetzt investieren, Substanz erhalten, Arbeitsplätze schaffen. Und wenn die Wirtschaft wieder richtig anspringt, wird sich die Stadt als Investor auch wieder zurücknehmen. Das ist antizyklisches Verhalten alter keynes‘scher Politik...

...die seit 30 Jahren aus der Mode ist.

Jaja. Natürlich fragen sich jetzt viele, was ich mit so einem alten Hut will. Ich kenne die Gegenargumente: Angeblich haben wir ja lange über unsere Verhältnisse gelebt. Dann kam die deutsche Einheit. Und dann soll unsere Generation noch für die Kindes- und Kindeskinder alles richten. Das ist ein bisschen viel. Ich will die Leute gar nicht verrückt machen, sondern nur einen langsamen Prozess des Umdenkens einläuten. Nach der Theorie von Keynes sollen die Investitionen ja aus Rücklagen finanziert werden. Die gibt es aber nicht mehr, also muss ich versuchen, über gezielte Verschuldung etwas in Gang zu bringen. Ich sehe jedenfalls, dass der Weg des Sparens nicht funktioniert, wir sparen uns kaputt.

Neue Schulden gehen auf Kosten der folgenden Generationen.

Das Argument gilt nicht. Ich könnte jetzt auch bis zum Ende meiner Amtszeit im Jahr 2009 jedes Jahr weiter städtisches Vermögen verkaufen. Damit bekäme ich vielleicht sogar immer einen ausgeglichenen Haushalt hin. Aber 2010 gäbe es dann nichts mehr zu verkaufen, und auch keine vernünftigen Straßen und Schulen. Ist das gerecht?

Was halten Sie von einem „Aufbau West“-Programm, wie es viele Ruhrgebietsstädte fordern?

Das ist gut. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren rund 1.700 Arbeitsplätze in der Aachener Region verloren. LG Philips ist gegangen, Mitsubishi auch. Der größte Arbeitgeber Eschweilers ist jetzt das Krankenhaus. Das macht den Strukturwandel deutlich, den wir noch immer durchlaufen. An dem Tag, als LG Philips zugemacht hat, habe ich mich morgens noch mit meinen Wirtschaftsförderern gefreut, weil wir einen 10-Mann-Betrieb angesiedelt haben. Und am Nachmittag kam dann die Nachricht, dass 400 Jobs in der Nachbarstadt Aachen weg sind, davon sind auch Arbeitnehmer aus Eschweiler betroffen. Natürlich brauchen wir deshalb ein Investitionsprogramm.

Auch auf Kosten des Solidaritätszuschlags für die ostdeutschen Bundesländer?

Ich will keine Neiddiskussion. Osten und Westen sollen sich nicht gegenseitig die Butter vom Brot nehmen. Das verwässert die Debatte nur, das mache ich nicht mit. Aber wenn es darum geht, die Mittel nicht mehr regional, sondern nach Bedürftigkeit zu vergeben – da bin ich mit dabei.

Beginnt dann nicht jeder Lokalfürst damit, zuerst einmal sein liebstes Prestigeprojekt umzusetzen?

Das ist ein Klischee, das ist nicht wahr. Es gibt für uns den Kreis Aachen als Aufsichtsbehörde, die Bezirksregierung und den Innenminister. Die Bürgermeister und Räte werden genügend kontrolliert. Wir könnten uns gar kein Schloss bauen oder ein Denkmal setzen.

Was sagt denn der Regierungspräsident zu neuen Schulden?

Der ist im Moment noch gar nicht involviert. Die Aachener Kommunalaufsicht hat mir aber gesagt, dass ich meinen Weg weiter verfolgen soll. Bestimmt werde ich noch fünf oder sechs Mal zurückgepfiffen. Aber ich hoffe, dass sie mir noch in diesem Jahr mehr Schulden erlaubt.

Und was sagt Ihre Partei? Stehen Sie dort mit Ihren Vorschlägen alleine da?

Die Reaktionen auf meinen Ansatz sind in der SPD zurzeit tatsächlich noch sehr verhalten. Andererseits kommen im Moment aber sogar konservative Politiker auf die Idee, dass es Sparen allein nicht bringt. Ich bin verwundert, wie viele CDU-Politiker uns Sozialdemokraten im Moment links überholen. Und immerhin hat ja auch die Bundesregierung ein kleines Investitionsprogramm aufgelegt. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber das geht in meine Richtung.

Trotzdem wird in der großen Politik wenig auf Bürgermeister gehört. Liegt das daran, dass sie zu viel jammern?

Nein, das ist ein Vorurteil. Viel mehr sollte sich so mancher in der Landes- und der Bundespolitik mal merken, dass es Kommunalpolitiker sind, die ganz nah am Volk sind.

Wer ist dann Schuld an dem schlechten Ruf? Die Kollegen, die sich von Stromkonzernen auf Vergnügungsreisen einladen lassen?

Kommunalpolitiker sind Frauen und Männer, die beruflich voll unter Druck stehen, die Familie haben und sich ehrenamtlich für die Bürger engagieren. Dafür bekommen sie nur eine kleine Aufwandsentschädigung. Ich glaube nicht, dass sich jemand von einhundert oder zweihundert Euro mehr beeinflussen lässt. Um dass zu machen, muss man einen Virus in sich haben. Ob eine Tagestour auf eine norwegische Bohrinsel eine Luxusreise ist, lasse ich einmal dahingestellt, und ich glaube nicht, dass sich damit jemand manipulieren lässt.

Gegenfrage: Sind solche Reisen in Ordnung?

Natürlich nicht und ich lehne diese Praxis auch ab. Bei mir haben solche Angebote jedenfalls keine Chance. Damit vermeide ich öffentliche Diskussionen und brauche mich auch nicht zu rechtfertigen.

Wo verläuft denn für Sie die Trennlinie?

Ein Freibier und ein Kotelett auf dem Schützenfest sind okay, eine Urlaubsreise mit meiner Frau nach Mallorca allerdings nicht. Die meisten Kollegen sind da aber mittlerweile sehr sensibilisiert.

Kommunalpolitiker sind also die besseren Politiker, denen man ohne Gewissensbisse mehr Geld anvertrauen kann?

Man muss froh sein, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die Kommunalpolitik machen. Ich finde, die große Politik könnte öfter auf einen Bürgermeister hören, der einen guten Vorschlag macht.