Wegezoll in Deutschland ist rechtswidrig

URTEIL Ausländerbehörden dürfen keine Gebühren von Asylbewerbern erheben, wenn diese ihren Landkreis verlassen wollen, urteilt das Verwaltungsgericht Halle. Asylbewerber könnten sich bald freier bewegen

BERLIN taz | Das Verwaltungsgericht Halle hat am Freitag die Erhebung von Verwaltungsgebühren für die Ausstellung eines „Urlaubsscheins“ an Asylbewerber für rechtswidrig erklärt. „Wir haben festgestellt, dass es für solche Gebühren keine gesetzliche Grundlage gibt“, sagte Gerichtssprecher Volker Albrecht der taz.

Geklagt hatte der togolesische Asylbewerber Komi E., Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus. Die Residenzpflicht verbot ihm, ohne behördliche Genehmigung den Saalekreis, also das Umland der Stadt Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt, zu verlassen. Für die Erstellung des „Urlaubsscheins“ musste er jedes Mal von seinen Asylbewerberleistungen 10 Euro Verwaltungsgebühren entrichten.

„Kürzlich hat die Ausländerbehörde ihre Praxis geändert und nimmt die 10 Euro nur noch, wenn der Ausländer einen rein privaten Grund hat, den Landkreis zu verlassen“, sagt Komi E.s Anwalt Volker Gerloff. Mit anderen Worten: Will ein Ausländer zu einer auswärtigen Gerichtsverhandlung, zum Anwalt oder zu einer politischen Demonstration, gibt es den Urlaubsschein kostenlos. Will er Verwandte besuchen, muss er 10 Euro zahlen. Gerloff findet es perfide, dass die Ausländerbehörde die Gründe überhaupt überprüft. „Es ist schließlich Privatsache jedes Menschen, warum er verreist.“

Es ist bereits das zweite Urteil eines Verwaltungsgerichtes, das die Gebühren für einen „Urlaubsschein“ für rechtswidrig erklärt. Im Jahr 2006 hatte das Verwaltungsgericht Dessau in Sachsen-Anhalt die Gebühren für nichtig erklärt, allerdings mit einer weniger grundsätzlichen Begründung. Damals hatten die Richter die Frage der Rechtsgrundlage offengelassen und lediglich geurteilt, dass ein Asylbewerber aus sozialen Gründen von Behördengebühren zu befreien sei.

Ob das neue Urteil rechtskräftig wird, hängt davon ab, ob das Landratsamt Rechtsmittel einlegt. Das war am Freitag noch unklar. Ein Behördenvertreter hatte an der Verhandlung erst gar nicht teilgenommen. Anwalt Volker Gerloff fordert das Innenministerium in Sachsen-Anhalt auf, im Fall der Rechtskraft des Urteils anzuordnen, generell keine Verwaltungsgebühren mehr für die Befreiung von der Residenzpflicht zu erheben. In Sachsen-Anhalt erhebt laut Gericht etwa jede zweite Ausländerbehörde solche Gebühren. In elf Bundesländern verlangen einzelne Landkreise solche Gebühren, in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sogar flächendeckend.

Die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders, die die Umsetzung der Residenzpflicht bundesweit dokumentiert hat, spricht von „Wegezoll“ in der Tradition der deutschen Kleinstaaterei. Für 33.000 Asylbewerber und 105.000 geduldete Flüchtlinge sind die Grenzen der 413 Kreise und kreisfreien Städte oft unüberwindbare Hindernisse. Laut Selders gibt es Fälle in Hessen, in denen Jugendliche nicht an Sprachkursen im Nachbarkreis teilnehmen konnten, weil sie das Geld für die Behördenbescheinigung nicht hatten. MARINA MAI