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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Ich bin überall willkommen“

Willi Lemke ist UN-Sonderbeauftragter für Sport, Aufsichtsratsvorsitzender bei Werder Bremen und Ex-SenatorBREMEN ODER NEW YORK Er läuft und läuft und läuft. Einst gestartet als Asta-Sportreferent an der Uni Hamburg, düst der Marathonläufer Willi Lemke jetzt als Sportberater von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon von Kontinent zu Kontinent. Im taz-Interview erzählt er von konservativer Geschäftspolitik bei Werder Bremen und Bolzplätzen im Rebellengebiet

Willi Lemke, 63

■ wurde in Ostholstein geboren und studierte Sportwissenschaften an der Universität Hamburg.

■ 1994 enthüllte der ehemalige Hamburger Verfassungsschutzchef Hans Josef Horchem, dass Lemke Anfang der 1970er Jahre dem Verfassungsschutz als Doppelagent Informationen über den KGB geliefert hatte.

■ 1971 war Lemke der SPD bei getreten, in der er es in Bremen zum Landesgeschäftsführer brachte, ehe er 1981 als Manager zu Werder Bremen wechselte. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Aufsichtsrates.

■ 1999 wurde Lemke Bildungssenator. In der rot-grünen Koalition wurde er 2007 Innensenator bis er 2008 auf Vorschlag der Bundesregierung und mit einer jährlichen Mitgift des Bundes von 450.000 Euro das Amt des UN-Sonderberaters für Sport übernahm.

■ In Kürze erscheint sein Buch: „Ein Bolzplatz für Bouaké – Wie der Sport die Welt verändert und warum ich mich stark mache für die Schwachen“. RLO/ROR

INTERVIEW RALF LORENZEN UND ROGER REPPLINGER

taz: Herr Lemke, wie weit sind Sie als Aufsichtsratsvorsitzender von Werder Bremen noch am täglichen Geschäft dran?

Willi Lemke: Überhaupt nicht. Das gibt nur Unruhe, und die braucht man im Bundesligageschäft nicht. Wir lassen die sportliche Leitung in Ruhe arbeiten, auch in schlechten Phasen. Das hat uns über Jahrzehnte Erfolg beschert.

Wie ist dieser Erfolg zu erklären?

Wir haben Kontinuität und jeder weiß, was er zu tun hat. In den achtziger Jahren hatte Otto Rehhagel vier Sterne auf der Schulterklappe, ich drei. Heute arbeiten Klaus Allofs und Thomas Schaaf, obwohl Klaus formal der Vorgesetzte ist, auf Augenhöhe. Die Aufgaben sind klar verteilt.

Jahrelang war nur Bayern München wirtschaftlich für Werder unerreichbar. Nun sind Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen dazugekommen. Wird die Lücke größer?

Die Lücke ist größer geworden. Wer Erfolg hat, bekommt durch die Champions League die finanziellen Möglichkeiten, weiter erfolgreich zu sein. Ich kann nichts dagegen sagen, wir sind Nutznießer der Situation. Klar ist: Die Kluft zwischen den erfolgreichen, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind, und den weniger erfolgreichen, wächst. Für Vereine, die nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen haben, wird es schwieriger. Trotzdem kommen Underdogs nach oben.

Wie Hoffenheim.

Ja. Ich habe niemals einen so guten Aufsteiger wie die TSG Hoffenheim in der vergangenen Saison hier im Weserstadion gesehen. Da habe ich gedacht: Siehste, geht doch noch, natürlich mit dem entsprechenden Pulver. Werder Bremen ist solide geführt, steht wirtschaftlich gut da. Deshalb bin ich auch nicht aufgeregt, wenn wir mal Sechster sind. Wir arbeiten ruhig weiter, lassen uns nicht von einer schlechten Presse ablenken. Klaus Allofs, Thomas Schaaf und die Mannschaft haben unser Vertrauen.

Ist Hoffenheim nicht eine neue Form der Konkurrenz?

Eine besondere. Aber auch Wolfsburg ist eine besondere Konkurrenz. VW hat jetzt Freude daran, die sind Meister geworden, jetzt ist es leichter, Herrn Winterkorn davon zu überzeugen, noch mal ein paar Millionen locker zu machen. Das war auch bei Leverkusen so, auch die hatten eine Ausnahmestellung. Wenn da ein Loch war, wurde es gestopft, und gut ist. Diesen Luxus hatten wir nie. Wir müssen immer schauen, dass wir mit den Einnahmen die Ausgaben begleichen können.

Das machen nicht alle.

Nein. Dass uns die Möglichkeit fehlt, das Geld rauszupfeffern, macht uns stark. Bremen ist ja keine Metropole, nicht mit Hamburg oder Berlin vergleichbar. Selbst Städte wie Frankfurt und Hannover haben Standortvorteile, wenn man die Zuschauerströme sieht. Was Wirtschaft und Zuschauer anbelangt, haben wir keine optimalen Bedingungen. Wir müssen besonders schlau sein, um dies zu kompensieren. Das gelingt uns.

Werder hat ja mit der Gründung der GmbH & Co. KG die Möglichkeit, Investoren Anteile zu verkaufen. Warum passiert das nicht?

Weil wir unsere Eigenständigkeit bewahren wollen. Wir wollen nicht abhängig werden von Menschen, Firmen, Organisationen. Wir wollen ein mitgliedergeführter Verein sein, wir wollen, dass die Mitglieder das Sagen haben. Das ist ein hoher Wert bei Werder Bremen, ähnlich wie die Tatsache, dass das Bremer Weserstadion immer noch Bremer Weserstadion heißt. Darauf sind alle handelnden Personen sehr stolz, sonst wird’s beliebig.

Da sind Sie konservativ.

Das widerspricht meinem Verständnis von Tradition und Fußball. Wir müssen auch keine Anteile verkaufen, um Riesentransfers zu stemmen, denn man kann Tafelsilber nur einmal verkaufen, dann ist es weg. Werder Bremen, die Werder Bremen GmbH & Co. KG gehört Werder Bremen, uns allen, den Mitgliedern.

Da herrscht Einigkeit im Aufsichtsrat?

Ja. Es kann eine Situation entstehen, in der wir reagieren müssen, aber wir wollen das alle nicht. Wir wollen die Strukturen der Kapitalgesellschaft so halten, wie sie sind, dafür kämpfen Aufsichtsrat, Geschäftsführung und Präsidium. Und im Moment stehen wir glänzend da.

Besonderer Glanz umgibt Sie, seit Sie ehrenamtlicher Sonderberater für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden bei den Vereinten Nationen sind. Welche Idee steckt hinter diesem Amt?

Zum einen repräsentiere ich den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, bei großen Sportveranstaltungen und Konferenzen, wie gerade bei den Olympischen und Paralympischen Winterspielen in Vancouver. Ich habe die Möglichkeit genutzt, die Direktoren von Sportverbänden zu treffen, um zusammen mit weiteren Partnern, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, Entwicklungsprojekte im Sportbereich zu initiieren.

Welche Bereiche umfasst Ihr Mandat noch?

Ich setze mich dafür ein, das Verständnis zu stärken, den Sport als Instrument für Entwicklung und Frieden zu nutzen. Viele Regierungen sagen: Sport ist Luxus und keine staatliche Aufgabe. Da ist die UN anderer Auffassung. Ebenfalls koordiniere ich die Tätigkeiten innerhalb der Vereinten Nationen und agiere als Schnittstelle zwischen den UN, den Mitgliedsstaaten, der Zivilgesellschaft, den internationalen Sportverbänden, den Medien und der Privatwirtschaft. Es ist meine Aufgabe, verschiedene Partner und Akteure zusammenzuführen. Dafür habe ich mittlerweile ein sensationelles Netzwerk aufbauen können. Für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika zum Beispiel versuche ich, zwischen den einzelnen UN-Agenturen zu koordinieren, um deren Aktivitäten abzustimmen und Synergien zu nutzen. In einigen Entwicklungsprojekten werden leider manchmal Fehler gemacht, auch weil sie oft von oben aufgesetzt sind. Aber es gibt auch viele gelungene Beispiele. Von denen müssen wir lernen, sie weiterverfolgen und die positiven Erfahrungen austauschen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ich habe in Bouaké an der Elfenbeinküste, mitten im Rebellengebiet, ein Judo-Projekt mit 200 jungen Teilnehmern besucht, darunter viele Mädchen und Frauen. Mit Hilfe des deutschen Außenministeriums konnten wir 200 vor Ort hergestellte Judoanzüge dorthin schicken. Als ich das Projekt besucht habe, wurde ich ins UN-Camp eingeladen. Der Kommandeur, ein Pakistani, zeigte mir stolz eine Ecke, wo sie einen Bolzplatz bauen wollten, unter anderem für Spiele gegen die Rebellenarmee. Da habe ich ihn gefragt, ob es nicht besser wäre, im Dorf einen Bolzplatz zu bauen, wo die Jungs des Dorfs rumgammeln und sich verleiten lassen, Knarren oder Drogen in die Hand zu nehmen. Ich habe dem Generalsekretär von der Idee erzählt, mit UN-Soldaten solche Projekte zu machen. Am 24. Dezember 2009 wurde der Bolzplatz im Dorf offiziell eingeweiht, eine pakistanische Armeeband spielte dazu. Die UN-Friedensmission in Abidjan hat mir mitgeteilt, dass sie versuchen, weiter in den Bau von Sportstätten zu investieren.

Ecken Sie mit Ihrer direkten Art manchmal an?

Nein, ich habe es leicht, weil ich etwas bewege. Wenn ich Jugendcamps besuche, bin ich nicht auf der Ehrentribüne, sondern auf dem Feld. Mir ist es wichtig, Vorbilder zu fördern. Normalerweise fördern wir in Europa nur Leute mit Hochschulabschluss, aber niemand hat ein Programm für arme Leute ohne Ausbildung, die aus dem Nichts eine wunderbare Sozialisation hinkriegen. Im letzten Jahr habe ich Peter Ndolo, der im Mathare-Slum von Nairobi aufwuchs, ein Praktikum bei Radio Bremen vermittelt. Jetzt zeigt er den Jungen und Mädchen zu Hause, wie man fotografiert und Interviews macht. Mein Ziel ist es, jedes Jahr 200 junge Afrikaner aus armen Familien mit Hilfe vieler NGOs nach Europa zu vermitteln. Die sollen später die jetzige Politikergeneration ablösen, die sich oft die eigenen Taschen vollstopft.

Wird es den Bremer Landespolitiker Willi Lemke, SPD, noch einmal geben?

Mit Sicherheit nicht. Auch wenn ich durch die vielen Reisen manchmal erschöpft bin – ich bin in meinem jetzigen Job glücklich, bin überall willkommen und muss mich nicht mit Haushaltslöchern herumärgern.

Im Moment warnen einige, auch Ihr langjähriger Widersacher Uli Hoeneß, vor den Gefahren bei der Fußball-WM in Südafrika. Sind Sie da gefragt?

Die Fifa braucht keine Unterstützung. Dennoch glaube ich, dass es wichtig ist, deutlich zu machen: Es geht da um weitaus mehr als Fußball. Südafrika ist ein Leuchtturm für Afrika und Afrika braucht ein Erfolgserlebnis. Natürlich gibt es Kriminalität, aber die gibt es auch in amerikanischen Großstädten. Ich freue mich auf die WM. Die wird bunt und schön. Ich kann nur allen raten, hinzufahren und die Gastfreundschaft zu genießen. Niemand braucht Angst haben, überfallen zu werden, wenn er sich an die Regeln hält.