: Normalität als Gaukelei
Israelische Filmemacher (Forum/Panorma) suchen den Zugriff auf eine Geschichte, in der kein Satz ohne Widerspruch bleibt. Sie schaffen das durch Genauigkeit und Nähe zu einem absurden Alltag
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Die Aufgabe eines Filmemachers ist, Kritik an der eigenen Gesellschaft zu üben. Das sagte der Regisseur Amos Gitai auf einer Podiumsdiskussion, die die israelischen Filme im Programm des Forums begleitet hat. Als Israeli die israelische Gesellschaft zu kritisieren – das ist eine komplexe Angelegenheit. Die für Gitai aus einer spezifischen historischen Gemengelage resultiert: Mit der Gründung des Staates Israel, so sagte er, hätten die Juden eine politische Entscheidung gefällt – nicht mehr nur Objekt der Geschichte zu sein. Das aber habe eine schwierig zu händelnde Notwendigkeit zur Folge gehabt: sich von mythischen Erzählungen zu verabschieden und die Alltäglichkeit zuzulassen. Die großen Narrative des Anders-Seins, des Einzigartig-Seins, des Gelobten Lands müssten an einer alltäglichen Realität neu ausgerichtet werden – was oft durch Tabus erschwert wird.
Streit um „meins“
Genau an diesem Tabu aber kratzt Gitai mit seinen Filmen seit 35 Jahren, indem er die Vergleichbarkeit der Menschen in Israel und Palästina behauptet: „Dieses Land ist eine Ansammlung von Displaced Persons.“ Über 25 Jahre jetzt führt Gitai den Nachweis dieser Vergleichbarkeit in einem Filmprojekt, in dessen Mittelpunkt ein Haus in West-Jerusalem steht. 1980 drehte er „House“ fürs israelische Fernsehen – das ihn dann nicht ausstrahlte. Dabei hatte Gitai einfach nur an einer Baustelle angefangen, mit den arabischen Bauarbeitern und dem jüdischen Bauherrn zu reden.
Auf der Suche nach den ehemaligen Besitzern stieß er auf eine weit verzweigte palästinensische Familie, die 1948 nach 700 Jahren aus Jerusalem vertrieben wurde. 1998 besuchte Gitai diese Protagonisten ein weiteres Mal – und beschließt jetzt mit „News from Home/News from House“ die Trilogie.
Wie ein Archäologe hat er die Spuren derer, die einmal in dem mit Bougainvillea bewachsenen Haus lebten oder an ihm arbeiteten, verfolgt. Und ist dabei immer auf Menschen gestoßen, die alle eine ähnliche Erfahrung gemacht haben: Verlust. Da ist die feine ältere palästinensische Dame im Exil in Amman, mit Blüten im Haar, lackierten Fingernägeln und einem wundervollen Lächeln; da der palästinensische Arzt, der Fotos aus dem Familienalbum zeigt, damals, vor dem Haus. Auch die jetzigen jüdischen Hausbewohner erzählen: von einer Kindheit in Istanbul, dem Weg nach Paris, den Eltern in New York, den Großeltern auf der Flucht, den im KZ ermordeten Onkeln, der befremdlichen Ankunft in Israel. Was sie alle eint und entzweit: ihr Anspruch auf das Haus, das Bedürfnis, legitimerweise „meins“ sagen zu dürfen.
Verfolgt von Geistern
Ein Schlüssel zur Vergangenheit spielt auch in Udi Alonis Drama „Mechilot“ („Forgiveness“) eine zentrale Rolle. Er baumelt um den Hals eines palästinensischen Mädchens, das den jungen David Adler auch als Geist verfolgt. Adler sitzt in einer Nervenheilanstalt, die auf den Ruinen eines 1948 ausgelöschten palästinensischen Dorfes samt Massengrab erbaut wurde. Ein ordentlicher Brocken an Setting!
Dabei aber bleibt es nicht: In Rückblenden werden Davids Trauma-Schichten freigelegt. Mit frisch übers Herz tätowiertem Davidstern kommt er aus New York nach Israel, um Militärdienst zu leisten. Im Dienst erschießt er die Tochter einer Palästinenserin, welche wenig später zur Selbstmordattentäterin wird. Dem Geist der Tochter begegnet er im Garten der Heilanstalt wieder, wo außer ihm nur Insassen mit KZ-Trauma leben.
„Mechilot“ ist ein dickes Signifikanzpaket. Aber tonnenschwer durchraunt den Film ein übertriebener Symbolismus – als hätte Udi Aloni einen Traum extra für Freud geträumt und Amos Gitais Anti-Mythos-Programm absichtlich eins drübergeben wollen.
Zwei weitere israelische Filme warfen auf der Berlinale dankenswerterweise weniger verquaste Blicke auf den Alltag. Tomer Heymanns Dokumentarfilm „Paper Dolls“ porträtiert eine Gruppe philippinischer transsexueller Migranten, die in Tel Aviv ihr Geld als Tagespfleger für alte orthodoxe jüdische Männer verdienen – und nachts als Showgirls die Clubs aufmischen. Seit Beginn der zweiten Intifada gilt in Israel Jobverbot für Palästinenser, weswegen viele Stellen im sozialen Sektor plötzlich vakant waren – eine Chance für die in ihrer Heimat diskriminierten Filipinas. Israel ist für sie gleichzeitig Befreiung und Bedrohung: Bei Jobverlust drohen Illegalität und Abschiebung, mit der prekären Sicherheitslage und den Bombenattentaten kommen sie nicht zurecht. Der von seinen Protagonisten hoch begeisterte Regisseur wird ab irgendwann auch von einer großen Verlustangst gepeinigt. Er zeigt einen ambivalenten Alltag in Tel Aviv: liberal auf der einen, ungerecht und riskant auf der anderen Seite.
Das Risiko zu mindern, das ist der Job von Mirit und Smadar im Spielfilm „Close to Home“ von Dalia Hager und Vidi Bilu. Die beiden 18-jährigen Mädchen leisten ihren Wehrdienst ab, müssen arabische Frauen am Checkpoint filzen und auf den Straßen von Jerusalem möglichst viele Ausweisnummern zu den Akten nehmen. Sie tun das mit einer kuriosen Mischung aus anmaßender Selbstverständlichkeit und Genervtheit, wie Teenager eben, die eigentlich lieber shoppen, zum Friseur gehen oder der neuen Flamme hinterhersteigen wollen.
Leichtfüßig und doch schmerzhaft manifest illustriert „Close to Home“ die Schizophrenie des israelischen Alltags: die Demütigung der Kontrollierten, die Absurdität einer aufgeklärten, konsumorientierten Gesellschaft, die sich im Vertrauen auf die Macht des Militärs eine Normalität vorgaukelt. Den Punkt, an dem sich das Hinterfragen zu erübrigen scheint. Wenn nämlich die nächste Bombe wieder so tut, als ginge es einfach nicht anders.
„Mechilot“, 16. 2., 22.30 Uhr Colosseum; 18. 2., 15 Uhr CineStar 3. Gitais „News from Home …“ Installation in den KunstWerken, tägl. 12–19 Uhr