Die Stadtversteherin

STADTPLANUNG Bremens neue Senatsbaudirektorin Iris Reuther präsentiert sich sachkundig und gesprächsbereit, aber höflich-unverbindlich und neutral

„Super“ findet Iris Reuther Café Knigge, den Bürgerpark „wichtig“, die Hochstraße „besonders“

„Weiterdenken“. „Miteinander sprechen“. „Profilieren“. Das sind die Worte, die den Abend prägen. Iris Reuther ist gekommen, seit 15. Mai ist sie Bremens neue Senatsbaudirektorin. Beim „Bremer Stadtdialog“ im Speicher XI hat sie einen ihrer ersten umfangreicheren öffentlichen Auftritte, wenn auch vorwiegend im Kreis von KollegInnen aus Architektur und Stadtplanung. Auch ihr Chef, Bausenator Joachim Lohse (Grüne), spricht zum selben Thema, gleiche Uhrzeit, andere Stelle: Zweieinhalb Kilometer stadteinwärts plaudert der, in der Kulturkirche. Dass sich die beiden in ihren Visionen schroff widersprechen, ist eher unwahrscheinlich. Reuthers Ton jedenfalls ist eher ein moderierender.

Ob man nicht darüber nachdenken müsste, wie zu verhindern ist, dass zu den 14.000 Wohnungen, die in den kommenden Jahren in Bremen gebaut werden sollen, nein: müssten, wie man also dafür sorgt, dass da nicht auch 14.000 Parkplätze drumrum müssen, will eine Landschaftsplanerin wissen. „Ich nehme die Frage mit“, sagt Reuther. Ob sie den Begriff „Wachstum“ nicht ein wenig neutraler konnotieren wolle, hatte eben einer vom BUND gefragt. Man müsse „über nachhaltige Dinge nachdenken“, antwortet Reuther. Um dann gleich wieder von „spannenden Fragen“ zu sprechen, und davon, dass man sich „über gemeinsame Aufgaben verständigen“ und „unterschiedliche Lösungen für einzelne Orte“ finden müsse.

Immerhin, davon kennt Reuther in Bremen offenbar schon eine ganze Menge. Ursprünglich kommt die Mittfünfzigerin ja aus dem Osten, sie studierte zu DDR-Zeiten in Weimar, machte 1984 ein Diplom über „Wohnen in der Zukunft“ (also im Jahr 2000) und promovierte noch kurz vor der Wende über die Geschichte des Wohnungsbaus. Später gründete Reuther ein „Büro für urbane Projekte“, entwickelte einen „Masterplan“ für Bitterfeld-Wolfen und wurde Professorin für Stadt- und Regionalplanung in Kassel. Ihr Vorgänger im neuen Amt, ein mittlerweile in Köln tätiger Herr namens Franz-Josef Höing, fiel in der Stadt nicht weiter durch Impulse auf.

BremerInnen findet Reuther „stolz“, „klug“, „geradlinig“, „solidarisch“, „liebenswürdig“ und „eigensinnig“, natürlich „im positiven Sinne“: Bremen sei „dynamisch“, „auf dem Sprung“, sagt sie dann, „eine grüne Stadt“, eine „am Fluss“ von „moderater Dichte“. Alles bleibt unverbindlich-positiv. Wofür sie steht, bleibt unklar. „Super“ findet sie das Café Knigge, den Bürgerpark hält sie für einen „wichtigen“, die Hochstraße für einen „besonderen“ Ort. Und Identität – im Foto erscheint dazu das Concordia-Theater – sei etwas, was man „pflegen“, auf das man „aufpassen“ müsse. Perspektivisch ist Bremen für sie eine „wachsende Wohnungsmarktregion“, „klimasensibel“ und vor allem eine Stadt „wissensbasierter Jobs“.

Ihr Kollege Stefan Rettich, ein Bremer Architekturprofessor, der Reuther noch aus Leipzig kennt, plädiert an diesem Abend einmal mehr dafür, „marginalisierte Orte“ besser zu integrieren, um den akuten Wohnungsmangel zu bekämpfen. Auch die „großen Potenziale“ der Bahnhofsvorstadt will er heben, weil: „Da ist“ – also: was Wohnungen angeht – „viel Luft drin.“

Sie wolle sich das Bild der Stadt der Zukunft „nicht alleine ausdenken“, antwortet Reuther. Etwas später wettert ein Architekt – er wohnt in einem Altbremer Haus – gegen den Geschosswohnungsbau, wegen der fehlenden „Identifikation“ seiner BewohnerInnen mit dem Umfeld. Reuthers Entgegnung bleibt im Ungefähren.

„Sie haben sich keine Revolutionärin eingekauft“, hatte Rettich zuvor gesagt. Obwohl sie früher mal erfolgreich protestiert hat, gegen den Wiederaufbau einer 1968 unter Walter Ulbricht gesprengten Kirche in Leipzig. Aber das ist länger her.  JAN ZIER