: Skip schusselt mit Stein
Die deutschen Curler verlieren ihr Auftaktgeschiebe gegen das kanadische Team. Dabei hatten die Füssener um Kapitän Andy Kapp schon mit 4:2 gegen den Rekordweltmeister geführt
AUS PINEROLO FRANK KETTERER
Andy Kapp stand in der Mixed Zone des Viale Grande Torino und die Frage, die es zu beantworten galt, war diese: Herr Kapp, was sagt der Skip zum Spiel? Die Frage war eine gute und genau an den richtigen Mann gestellt, schließlich ist Andy Kapp der Kapitän der deutschen Curling-Mannschaft. Kapp überlegte kurz, rückte seine Brille zurecht und sagte: „Der Skip sagt, dass er es versemmelt hat.“ Dann lächelte Andy Kapp so freundlich, dass man bereit war, ihm alle Fehler dieser Welt zu verzeihen, ganz egal, was er gerade versemmelt hatte.
Der Fehler, den Skip Kapp begangen hatte, trug sich im vierten Spielabschnitt, also dem vierten End des Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft gegen Kanada zu. 4:2 lag das Team von Andy Kapp vorn, was im Curling als beruhigend gilt. Aber dann, im nächsten End, passierte es, Kapp wusste anschließend auch nicht so recht warum, nur wie: „Da habe ich einen Stein völlig in die Tribüne geschoben“, sagte er, was heißen sollte: Weit vorbei am House, also den Zielkreisen am anderen Ende der Eisbahn. Der Gegner aus Kanada nutzte das Malheur umgehend zu drei Punkten, und irgendwie hatte man sofort das Gefühl, dass es das Ende aller Siegchancen in diesem Auftaktspiel bedeutete. „Das war der Knackpunkt“, bestätigte auch Kapp.
Dass Kanada das Spiel mit 10:5 und somit ein paar Punkte zu hoch gewann, erklärte Uli Kapp als logische Folge: „Nach dem vierten End mussten wir etwas riskieren und haben den Kanadiern zu viele Geschenke gemacht“, sagte der jüngere Bruder des Skip, der auf der Position des „Third“ spielt. Als all zu großes Unglück wollte Andy Kapp die Niederlage nicht bewerten. Kanada ist der Rekordweltmeister und auch bei den Spielen von Turin hoher Favorit.
„Ein Sieg gegen die war nicht unbedingt eingeplant“, gab Kapp denn auch zu, dass er prinzipiell nicht ganz außer Reichweite lag („Wir hatten die ja auf dem Tablett serviert bekommen“), ließ durchaus Hoffnung für die anstehenden Aufgaben gegen Italien (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) und Finnland. Erinnerungen an Nagano und somit an die Winterspiele 1998 wollten bei Kapp und seinen Mannschaftskameraden jedenfalls nicht aufkommen, das wäre nun auch wirklich zu früh und vor allem dem weiteren Fortkommen hier in Pinerolo bestimmt nicht zuträglich.
Nach Nagano war das Team Kapp nämlich als aktueller WM-Zweiter und Europameister an- und als Olympiaachter wieder abgereist, was doch als arge Enttäuschung empfunden wurde und weitreichende Auswirkungen hatte. Denn selbst die nationale Vormachtstellung des Teams aus Füssen geriet danach ins Wanken, für die Spiele vor vier Jahren in Salt Lake City jedenfalls qualifizierte sich die Konkurrenz aus Oberstdorf.
Nun sind die Dinge auch beim Steineschieben so geregelt, dass Konkurrenz sich belebend aufs eiswischende Geschäft auswirkt. Die Füssener haben sich ihre Vormachtstellung im Lande wieder zurückerobert und wollen nun nachholen, was sie vor acht Jahren verpasst haben und Uli Kapp unmissverständlich so formuliert hat: „Wir haben uns eine Medaille vorgenommen.“
Das ist kein großes Vorhaben angesichts der Tatsache, dass Deutschland eher ein Curling-Zwerg ist, jedenfalls von den Zahlen her. Über eine Million Menschen schieben beispielsweise in Kanada die geschliffenen Granitblöcke übers Eis, im Lande Kapps sind es gerade mal 1.000 – großzügig geschätzt. Macht aber nichts, findet Bundestrainer Dick Henderson, der natürlich aus Kanada stammt. „Curling ist Curling, wo immer es gespielt wird.“ Und überhaupt: Was Nationen wie Kanada den Deutschen in punkto Professionalität voraushaben, gleichen die Füssener mit ihrer verschworenen Gemeinschaft aus. Kapp und seine Freunde sind schon gemeinsam zur Schule gegangen, seit 14 Jahren spielen sie nun Curling zusammen. Das ist ein großer Vorteil in einem Sport, der allen Akteuren eine extreme Feinabstimmung abverlangt und engste Zusammenarbeit. „An jedem Stein ist jeder beteiligt“, sagt Oliver Axnick. Und dieser Satz bedeutet vor allem für Andy Kapp vollste Absolution, weil er doch nichts anderes bedeutet wie: Ein Skip allein kann so ein Spiel gegen Kanada gar nicht versemmeln.