Sag zum Abstieg lieber Pogo

ACHTZIGER JAHRE Was haben der FC Sankt Pauli, der SC Babelsberg und die Punkrocker von Slime miteinander zu tun? Ein denkwürdiges Konzert mit anschließendem Freundschaftsspiel im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion gab die Antwort

Ein kleiner Junge steht am Bühnenrand. Etwas verstört blickt er in Richtung der ersten Reihen, in denen überwiegend nicht mehr ganz so junge Menschen Pogo tanzen. Die umherspringenden Menschen grölen: „Deutschland muss sterben / damit wir leben können.“ Während der Junge sich abwendet, raunt mir ein Bekannter im Publikum zu: „Ich komm mir vor wie in den Achtzigern.“

Wenn man der Hamburger Punkband Slime bei ihrem Auftritt auf einem Nebenplatz des Karl-Liebknecht-Stadions in Babelsberg so zuschaut, ist das eine naheliegende Assoziation: Sänger „Dicken“ Jora hat zwar keine Nackentapete mehr wie damals, sondern nur noch blondiertes, stacheliges Haar, seine Parolen trägt er aber noch genauso heiser und wüst wie zu Hafenstraßen-Zeiten vor: „Wo Faschisten und Multis das Land regieren …“ Als habe sich die Welt seit damals nicht weitergedreht.

Zum gemeinsamen Fanfest und Freundschaftsspiel haben die befreundeten Clubs von Babelsberg 03 und dem FC St. Pauli am Mittwochabend geladen. Beim Konzert vorab wollen gut 1.000 Leute Slime sehen. Unter ihnen: Alte Nietengürtel-in-den-Kniekehlen-Punks, ergraute Menschen über 50 mit Nickelbrillen, junge, linke Ultras mit Löchern in den Ohren.

All jene Fans geben zu Beginn des Fußballspiels, das unmittelbar im Anschluss beginnt, ein Stück moderner Stadionlyrik zum Besten: „Wir sind Zecken, asoziale Zecken / schlafen unter Brücken / oder in der Bahnhofsmission.“

Das Spiel der beiden Teams, die gerade erst wieder ins Training zur neuen Saison eingestiegen sind, ist dabei nebensächlich. Etwa 3.500 Besucher blicken vor allem neugierig auf die Neuzugänge auf beiden Seiten. Den Führungstreffer für St. Pauli durch Christopher Nöthe egalisiert Babelsbergs Mittelfeldspieler Süleyman Koc nach einer knappen halben Stunde mit einem schönen Lupfer. Nach erneuter Führung durch die Gäste trifft wieder Koc zum 2:2 in der 70. Minute. Florian Kringe und John Verhouk auf Seiten St. Paulis sorgen durch zwei verwandelte Elfmeter für die Entscheidung: Am Ende gewinnen die Hamburger 4:2.

Es wird so viel ein- und ausgewechselt, dass der Stadionsprecher kaum den Überblick behält. Als gleich fünf Spieler neu aufs Feld kommen, sagt er: „Und wenn ick een’ verjessen hab, isser trotzdem drin.“

Bei Babelsberg steht nach dem Abstieg in die Regionalliga und etlichen Abgängen zwar das Gerüst des neuen Teams, aber man wird wohl bis Saisonbeginn noch einige weitere Spieler verpflichten. Und man kann nur hoffen, diesen Süleyman Koc zu behalten, der derzeit so herausragt.

Dass weder der Abstieg noch die Spaltung des Clubs gänzlich überwunden sind, zeigt sich, als einige Ultras gegen Ende Schuhe aufs Feld werfen – wie in anderen Kulturen dürfte dies auch innerhalb der Ultrakultur zumindest kein Zeichen der Ehrerbietung sein. Als nach Schlusspfiff dann die Horden gen S-Bahn pilgern, ist das Straßenbild so bunt und laut, als wären Chaostage in Potsdam. Auch das irgendwie ein bisschen achtziger. JENS UTHOFF