: Das Innere nach außen gekehrt
NACKT UND BLOSS Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt in der Mode-Ausstellung „Inside Out“, was Kleidung alles mit dem Körper anstellen kann
VON KATHARINA GIPP
„Schon wieder hat jemand die Jacke aufgeschlagen“, seufzt Angelika Riley und zupft das Ensemble aus Kleid und Blazer zurecht. Die Kuratorin der „Inside Out“-Modeausstellung in Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe kann aber verstehen, dass Besucher einen besonders genauen Blick auf die Stücke der italienischen Designerin Alba D’Urbano werfen wollen.
Sie zeigen nämlich viel nackte Haut. Auf Blazer und Kleid wurde das Foto eines weiblichen, nackten Körpers in Lebensgröße gedruckt. An entsprechenden Stellen befinden sich sowohl auf der Jacke als auch auf dem Kleid weibliche Brüste, auf der Jacke Achselhaare, im Schrittbereich des Kleides Schamhaare. Im Hintergrund läuft ein Film, der zeigt, wie ein Model diese Stücke auf dem Laufsteg trägt: Die Frau wirkt erst auf den zweiten Blick angezogen.
Der auf der Kleidung abgebildete Körper gehört der Designerin selbst. Im Zuge des Projekts „Il Sarto Immortale“ („Der unsterbliche Schneider“) wollte D’Urbano im Wechselspiel von Kleidung und Nacktheit Kritik an der Modeindustrie üben. „Sie wollte die Vermarktung des weiblichen Körpers entlarven“, sagt Kuratorin Riley.
Die Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt nicht die typischen, allein auf Ästhetik bedachten Modekreationen. „Einige Stücke haben einen allein künstlerischen Anspruch“, sagt Riley. Im Alltag tragbar seien sie nicht.
Das schwarze Schlangenkleid von Iris van Herpen beispielsweise erlaubt der Trägerin nur recht wenig Bewegungsfreiheit. Es ist nicht nur sehr schmal geschnitten, sondern besteht zudem aus zahlreichen, tentakelartigen Schläuchen aus Acrylfolie und ist damit sehr schwer. Ganz unabhängig von der Tragbarkeit erinnert das Kleid aber auch sehr an unheimliche Begegnungen der dritten Art.
Gemäß dem Ausstellungstitel „Inside Out“ wird der Blick auf Mode gerichtet, die das Innere nach außen kehrt und Oberflächen aufbricht. „Die Besucher sollen zum Nachdenken darüber angeregt werden, was Mode mit ihrem Träger anstellen kann“, sagt Riley.
Mit diesen Überlegungen wird jedoch niemand allein gelassen. Bereits im Vorwege hat die Kuratorin die Ausstellungsstücke vier Oberthemen, um nicht zu sagen Funktionen zugeordnet: Simulation, Enthüllung, Verfremdung und Verformung.
Sowohl das Schlangenkleid als auch das „freizügige“ Ensemble von D’Urbano wurden unter „Simulation“ einsortiert. Sie teilen sich den Raum mit einem Zweiteiler, der scheinbar aus Ziegelsteinen besteht, einem durch und durch wolkigen Anzug und einer Ansammlung von Animal-Print-Kleidung. In allen Fällen steht weniger der Schnitt des Kleidungsstücks, als vielmehr seine Oberflächengestaltung im Vordergrund. Diese suggeriert nämlich, etwas anderes zu sein. Die Form der Kleidung unterstützt lediglich.
Freizügiger – und das ganz ohne Vortäuschung – wird es unter dem Motto „Enthüllung“. Die hier ausgestellten Kleidungsstücke spielen mit Elementen der Transparenz, liegen eng an. Manchmal werden bestimmte Körperpartien einfach ausgespart. Der Catsuit vom britischen Designer Gareth Pugh beispielsweise wirkt völlig unscheinbar in seinem Schnitt, doch ist er aus transparentem Elastan gefertigt. „Die Stelle, die am stärksten bedeckt ist, ist der Reißverschluss am Rücken“, sagt Riley.
Als provokanter empfindet sie allerdings ein Oberteil von Bernhard Willhelm, bei dem im Bereich der Brust zwei kreisrunde Stücke herausgeschnitten worden sind. „Selbst, wenn Sie etwas darunter tragen, schreit das Oberteil doch ,Schaut her, ich habe Brüste!‘.“
Eine Gegenüberstellung unterschiedlich eng anliegender Kleider aus den letzten 50 Jahren zeigt schließlich, wie sich das Bild vom idealen Frauenkörper gewandelt hat. Während die Stretchkleider des Tunesiers Azzedine Alaïa den Körper eher noch umschmeicheln und modellieren, passen sich die Schlauchkleider von Philippe Starck dem Körper bedingungslos an.
Unter dem Oberbegriff „Verformung“ finden sich vor allem historische Kleidungsstücke. Gezeigt werden unter anderem ein Schnürmieder aus dem 18. Jahrhundert, ein Sommerkleid mit Keulenärmeln aus dem 19. Jahrhundert sowie ein französisches Abendkleid mit Sanduhr-Silhouette. „Die Kleidungsstücke haben sich an vielen Teilen des weiblichen Körpers zu schaffen gemacht“, sagt die Kuratorin. Natürliche Körperformen wurden manipuliert, übertrieben betont. Auch das zeitgenössische Label Meadham Kirchhoff ist mit einem Kleid mit Reifrock und Ballerina-Spitze vertreten.
Einen „japanischen Schock“ könnten die Besucher schließlich im letzten Ausstellungsbereich unter dem Titel „Verfremdung“, erleiden, sagt Riley. Die übergroßen, farbenfrohen Stücke von Comme des Garçons entsprächen schließlich „überhaupt nicht der traditionellen westlichen Vorstellung von Eleganz“. Die fast zweidimensionalen Formen scheinen vom Körper abgekoppelt zu sein. Dazu gesellen sich ein Mantel mit vier Ärmeln, eine Hose mit außen liegenden Taschenbeuteln sowie eine scheinbar willkürlich auseinandergetrennte und wieder zusammengenähte Lederjacke.
So ausgefallen die Ausstellungsstücke aber auch sein mögen: Der Titel „Inside Out“ bezieht sich nicht nur auf die Mode – sondern vor allem auch auf die potenziellen Träger. „Es hat etwas Performatives, diese Kleidung zu tragen“, sagt Kuratorin Riley. „Es ist ein Statement, mit dem man einen Teil seiner Persönlichkeit nach außen trägt.“
Bis 13. Oktober, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe