Überschäumende Tatkraft

FILMGESCHICHTE Der „Bauchmensch“ und seine Helden: Eine Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen ehrt den Filmproduzenten Bernd Eichinger mit Dokumenten aus der Sammlung von Katja Eichinger

VON JENNI ZYLKA

Man könnte ihn mächtig nennen: Bernd Eichinger, der 2011 überraschend 62-jährig starb, produzierte oder verantwortete mehr als 100 Filme, darunter „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Das Parfum“, „Last Exit to Brooklyn“ und „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Oder man nennt ihn energetisch: In der von der Deutschen Kinemathek soeben eröffneten „Sammlung Bernd Eichinger“ finden sich in 350 Exponaten und rund 120 Minuten Sound- und Filmmaterial jede Menge Hinweise auf die Unermüdlichkeit des Mannes aus Oberbayern. Und auf seine Wandelbarkeit, die ihn für den einen zu kommerziell und für den anderen zu revolutionär machte.

Denn in der Sammlung, die seine Witwe Katja dem Museum zur Verfügung stellte, sind auch zwei kuriose Briefe vom Edelkirschlikörchenmogul Ludwig Eckes zu finden, der die darbende Produktionsfirma Constantin einst aufkaufte und den jungen Eichinger ins Boot holte. 1979 machte er sich in einem Brief an seinen Teilhaber Sorgen, „dass Sie auch zu den so genannten Weltverbesserern gehören“ –Eckes meinte damit ihm suspekte Filmemacher wie Fassbinder – und somit nicht wie er selbst „auf dem Boden des christlich-sozialen Gedankenguts stehen könnten“.

Dabei konnte – und wollte – der Filmemacher aus Neuburg an der Donau doch ganz anders: In einem in die Ausstellung integrierten Fernsehinterview von 1979 sitzt ein 30-jähriger Eichinger mit Zigarre und Anzug und mit ordentlich kurz geschorenen Haaren an einem Schreibtisch und erzählt großspurig, dass „Geld eine Materie ist, mit der ich sehr gern umgehe, weil man damit die Welt zum Funktionieren bringen kann“. Drei Jahre später stieg Eckes aus, und Eichinger wurde zu 50 Prozent an der Neuen Constantin beteiligt.

Die Sammlung versucht zumindest Hinweise darauf zu geben, woher Eichingers viel gerühmte Energie kam. Im ersten Raum, direkt hinter der Vitrine mit den Filmpreisen, die gleich zur Begrüßung die Marschrichtung gen Verehrung angeben, findet sich eine Materialiensammlung zum Thema „Helden“: Wie so viele andere Jungen war Eichinger seit seiner Kindheit fasziniert von Comic-Superhelden und sonstigen furchtlosen Männern. Seine Vorliebe ließ ihn in den Achtzigern die Rechte an den „Fantastic Four“-Comics aus dem amerikanischen Marvel-Verlag erwerben, die er erst Jahre später verfilmen konnte. An diese Comic-Leidenschaft erinnert ein von einem Marvel-Zeichner signiertes Bild der Fantastischen Vier, auf dem eine Sprechblase aus dem Mund von Mr Fantastic kommt: „Hi Bernd! We’re your biggest fans! Hope we can work together some day.“

Neben der Heldenwelt erzählt die Ausstellung von Eichingers Kindheit im Internat, das er als grausam und strikt empfand. Sein ebenfalls zu den Exponaten zählender Bewerbungsfilm für die neu gegründete Münchner Hochschule für Fernsehen und Film handelt von dem Schuldrill nach Glockentönen. Bereits während der Ausbildung dort wurden Freund- und Seilschaften angelegt, die Eichinger und seine Münchner Männerclique später zu den produktivsten der deutschen Kinoenthusiasten machten. Und radikaler denkende Menschen wie den einst ebenfalls als „Hoffnung des deutschen Kinos“ titulierten Regisseur Roland Klick am Wegesrand zurückließen: Klick, der eigentlich Eichingers Erfolgsfilm „Christiane F.“ inszenieren sollte, beendete zwei Wochen vor Drehbeginn wegen Unstimmigkeiten die Zusammenarbeit und wurde durch den Eichinger-Spezi Uli Edel ersetzt.

Von Eichingers im Boulevard immer wieder gern verhandelten Privatleben erzählt die Ausstellung glücklicherweise nur peripher auf einer „Zeitleiste“: Zurückhaltend ist da die „Beziehung mit Katja Flint“, die Geburt seiner Tochter Nina (und die ein Jahr später erfolgte Trennung) oder die „Beziehung mit Hannelore Elsner“ vermerkt. Das reicht dann auch allemal – neben der angemessenen Diskretion war es, bis auf wenige Ausnahmen, ohnehin eine Männerwelt, in der sich das deutsche Pendant zum US-amerikanischen Filmmagnaten bewegte.

Drei Themenräume mit den Titeln „Deutschland“, „Amerika“ und „Außenseiter“ beleuchten das weitere Werk des „Bauchmenschen“ Eichinger, der immer wieder darauf gepocht hat, Stoffe intuitiv auszuwählen. Dies geschah zwar oft im Einklang mit dem Geschmack eines großen Publikums, manchmal aber auch nicht. Neben den vielen, trotz Zeitmangels erstaunlich ausführlich und lesbar vollgekritzelten Terminkalendern, Drehbuchfassungen, Briefen und Materialsammlungen und den Fotos und Plakaten wirken die wenigen Kostüme, zum Beispiel der Leopardenmantel des „Mädchens Rosemarie“ oder das weiße Perlenkleid der Kindlichen Kaiserin aus der „Unendlichen Geschichte“ fast ein bisschen obsolet: Meist ging es in den Geschichten, denen der Filmliebhaber Eichinger seine überschäumende Tatkraft widmete, schließlich um viel mehr als nur um die schöne Ausstattung.

■  Deutsche Kinemathek im Museum für Film und Fernsehen,

noch bis 6. Oktober 2013