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Archiv-Artikel

Wachstum in Deutschland?!

Supermarkt-Discounter entdecken nun das positive Image von Biosiegeln. Viele der heute verkauften Produkte kommen nicht mehr aus der Region, sondern werden international gehandelt. Dennoch sagen Fachleute auch kleinen Bioläden eine Zukunft voraus: schöner Einkaufen für Gutverdienende

VON MIRKO HEINEMANN

Selbst Lidl ist jetzt auf den Zug aufgesprungen. Seit Anfang des Jahres verkauft der Lebensmitteldiscounter Produkte mit dem staatlichen Biosiegel. Nach dem Skandal um hohe Pestizid-Konzentrationen im Lidl-Gemüse hatte der Konzern eine Qualitätsoffensive angekündigt. In deren Rahmen will Lidl sein Angebot an ökologischen Lebensmitteln aufstocken. Das Ziel: 20 Prozent des Sortiments sollen mit dem Biosiegel ausgezeichnet werden.

Lidl, Plus, Norma, Aldi – selbst die knallhart kalkulierenden Discounter setzen auf Biolebensmittel, der Markt für Lebensmittel aus ökologischem Anbau wächst und wächst. „In den vergangenen Jahren hatten wir in Deutschland jährliche Steigerungsraten von 15 bis 20 Prozent“, erklärt Markus Rippin, Leiter des Fachbereichs ökologischer Landbau bei der ZMP. Die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft beobachtet im Auftrag der Agrarunternehmen die nationalen und internationalen Märkte.

Jeder Lebensmittelskandal macht das Marktsegment Bio stärker. Die zunehmende Orientierung der Verbraucher an dem Prädikat „Bio“ ist hierbei mehr als ein Produkttrend. Die Siegel der Anbauverbände und das sechseckige europäische Biosiegel sind zum Symbol für Qualitätsprodukte geworden. Dabei ist besonders Letzteres ein großer Erfolg. Rund 1.500 Unternehmen nutzen derzeit das europäische Biosiegel, knapp 31.000 Produkte sind damit ausgezeichnet. Bio ist dabei, jedes Preissegment und jeden Vertriebsweg zu erobern.

Nicht nur die Discounter verzeichnen ein gestiegenes Interesse an den natürlichen Lebensmitteln. Während sie mit bis zu 20 Prozent Umsatzsteigerung in den vergangenen Jahren den stärksten Zuwachs hatten, konnte gleichzeitig der Biofachhandel, also der klassische Naturkostladen, seine Umsätze steigern – um 10 bis 15 Prozent. „Das ist ein Novum“, sagt ZMP-Beobachter Markus Rippin. Offenbar hat insbesondere bei den besser verdienenden Verbraucherschichten ein Bewusstseinswandel stattgefunden. „Sie kaufen bewusst regionale Produkte und hoffen, in den Fachmärkten eine noch bessere Qualität zu erhalten als in den Supermärkten.“

Und das nicht zu Unrecht. Während der Fachhandel auf die Produkte von Verbänden wie Bioland oder Demeter setzt, die weitaus strengere Anbaukriterien haben, suchen sich Supermärkte und Discounter ihre Lieferanten auf dem internationalen Markt, wobei der Import in zunehmendem Maße die Preise bestimmt. Bei vielen Produkten hat sich der Markt bereits aufgeteilt. Stammen beispielsweise Äpfel und Möhren in der Regel aus regionalen Betrieben, werden Gurken und Tomaten meist importiert. Nur bei Fleischprodukten legen Verbraucher und Händler großen Wert darauf, dass sie aufs Deutschland kommen. „Wenn etwas passiert, lässt sich die Herkunft des Fleischs verfolgen“, sagt Markus Rippin. „Bei Produkten aus dem Ausland ist das schwieriger.“

Daher geht die ZMP davon aus, dass in nächster Zeit immer mehr landwirtschaftliche Betriebe auf ökologischen Landbau umstellen werden. Mit einigem Nachlauf, denn die Landwirte sind nach dem BSE-Skandal vorsichtig geworden. Viele Betriebe sind damals überhastet auf ökologischen Anbau umgestiegen. Als sich die Angst der Verbraucher nach wenigen Monaten wieder legte, gerieten die Betriebe unter Druck, mussten wieder zum konventionellen Modus zurückkehren oder gingen sogar Pleite.

Derzeit aber hinken die Ökolandwirte zumindest bei Obst und Gemüse der Marktentwicklung weit hinterher. Beispiel Äpfel: „Wir hatten im vergangenen Herbst eine sehr gute Ernte“, sagt Antje Kasbohm, die bei der ZMP den Markt für Obst und Gemüse beobachtet. „Dennoch ist die Nachfrage so enorm, dass die Betriebe derzeit nicht mit dem Sortieren und Verpacken nachkommen.“ Daher erzielen die Erzeuger „annehmbare“ Preise, gleich ob sie für Supermärkte oder Discounter produzieren.

Öko-Agrarexperte Michael Wimmer sieht für die Zukunft eine noch stärkere Ausdifferenzierung des Marktes kommen. Der Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin und Brandenburg glaubt an die Chancen vor allem der kleinen Naturkostläden. „Sie werden in Zukunft noch stärker mit exklusiven Marken, der Herkunft ihrer Produkte und dem schöneren Einkaufserlebnis punkten“, prognostiziert er. Die Verbraucher würden bei ihren Einkäufen immer stärker auch auf gesellschaftliche Aspekte achten, wie auf fair gehandelte Ware aus dem Ausland, regionale und saisonale Produkte, faire Arbeitsbedingungen und kurze Transportwege. Wer hätte noch vor wenigen Jahren an eine Renaissance von Tante Emma geglaubt – Bio hat sie möglich gemacht.