Jenseits der Klischees

Ein Jungenprojekt an einer Neuköllner Schule widmet sich dem Thema Homosexualität. Heute wird es ausgezeichnet

Kamera läuft. Enes nickt Deniz zu. Alles bereit für das nächste Interview. „Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter Ihnen sagt, dass sie homosexuell ist?“, fragt Deniz eine Passantin. Die Frau zögert mit der Antwort. „Ich würde sagen, dass ich das okay finde.“

Auf diese Frage hätten alle Befragten tolerant reagiert, erzählt Deniz. Fünf Tage lang zog er mit vier weiteren Zehntklässlern der Rütli-Oberschule in Neukölln los, um Meinungen über Gewalt, Drogen und Homosexualität zu sammeln. Der Film ist Teil des Projekt „Peers in the City – Sexualität und Geschlecht in der Einwanderungsgesellschaft“. Organisiert wird es vom Bildungsteam Berlin-Brandenburg, einem Verein, in dem sich Sozialwissenschaftler und Pädagogen um Konfliktverarbeitung unter Jugendlichen kümmern.

Die Idee: Jugendliche lernen von Peers – englisch für „Gleichaltrige“ – leichter als von Erwachsenen. Sie wissen, was ihre Altersgenossen beschäftigt, weil sie deren Erfahrungen teilen und „dieselbe Sprache“ sprechen. „Peers helfen anderen Heranwachsenden, sich in einer Vielfalt kultureller und religiöser Wertvorstellungen in Fragen rund um Liebe und Sex orientieren zu können“, sagt Sozialpädagogin Zaklina Mamutovic, die das Projekt entwickelt hat.

Besonders Homosexualität ist ein heikles Thema. „In ihrem Schulalltag kennen die Jungs das Wort ‚schwul‘ nur als Schimpfwort. Da taucht die Frage auf, wie sind Homosexuelle, wie leben sie?“, sagt Ümit Gürkan Buyurucu. Er hat das Projekt betreut. Keiner der Jungs kenne einen Schwulen oder eine Lesbe, glaubt Daniel, einer der fünf Zehntklässler. Dass sie mit ihrem Film auf Ablehnung stoßen könnten, befürchten die Jungs nicht. Schließlich seien sie ja selbst nicht schwul.

Der in der vergangenen Woche gedrehte Film soll in der Neuköllner Schule gezeigt werden und für Toleranz werben. „Die Interviews vermitteln den Jugendlichen einen Eindruck davon, welche unterschiedlichen Ansichten es über Schwule geben kann. Gleichzeitig lernen sie, wie man mit anderen Meinungen umgehen kann“, erläutert Betreuer Buyurucu.

Als vorbildlich wertete die bundesweite Initiative „Neue Wege für Jungs“ das Neuköllner Projekt. Wie 24 andere engagierte Einrichtungen der Jungenarbeit erhält „Peers in the city“ als Auszeichnung heute dafür 1.500 Euro. „Neue Wege für Jungs“ wird vom Bundesjugendministerium finanziert und versucht, ein Netzwerk zum Informationsaustausch über Jungenarbeit und eine „Gute-Beispiele-Datenbank“ im Internet aufzubauen.

JÖRG BRAUSE