Die jubelnde Klägerin und Beklagte

Die Union fordert rasch ein neues Gesetz. Die FDP denkt nicht daran

BERLIN taz | Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gehen mit dem Karlsruher Urteil schizophrene Monate zu Ende. Noch in der Opposition hatte sie zusammen mit den Altliberalen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt. Dann wurde sie im Herbst Bundesjustizministerin – und plötzlich Klägerin und Beklagte in einem.

Diese Doppelrolle war nicht leicht für sie durchzuhalten. Deshalb ist Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag der Urteilsverkündung in Karlsruhe auch lieber ferngeblieben. Schon zur Verhandlung im Dezember hatte sie nur eine Staatssekretärin entsandt, die aber auch nicht willens war, die unter Schwarz-Rot eingeführte Vorratsdatenspeicherung groß zu verteidigen. Der scheidende Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier kommentierte das damals mit den Worten: „Der Senat ist verwundert, dass er für das angegriffene Gesetz heute keinen politisch Verantwortlichen hat finden können, der es verteidigt.“

Kein Wunder also, dass Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag die Entscheidung der Verfassungsrichter bejubelte. „Ich mache keinen Hehl daraus: Ich freue mich über das Urteil“, sagte sie in Berlin. „Dies ist ein herausragend guter Tag für die Grundrechte, die Freiheitsrechte und den Datenschutz.“

Völlig anders fielen die Reaktionen in der Union aus. „Wir werden viele Straftaten nicht mehr aufklären können“, sagte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte: „Ich hätte mir ein anderes Urteil gewünscht.“ Trotz der Karlsruher Entscheidung will die Union an der Vorratsdatenspeicherung festhalten. Sie forderte Leutheusser-Schnarrenberger auf, die entsprechende EU-Richtlinie zügig und verfassungskonform in deutsches Recht umzusetzen. „Jetzt ist es an der Zeit, nicht mehr nur Nein zu sagen“, sagte de Maizière. „Sondern jetzt ist es an der Zeit, kluge Gesetzgebungsarbeit zu leisten.“

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat dagegen kein Interesse daran, rasch ein neues Gesetz vorzulegen. „Es ist heute nicht der Tag für nationale Schnellschüsse“, sagte sie in Berlin. Mehrfach verwies sie auf EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die gerade bis zum Jahresende eine kritische Überprüfung der EU-Richtlinie angekündigt hat, auf deren Grundlage die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland eingeführt worden war. Laut der Richtlinie von 2006 sollten Telekommunikationsanbieter für die Verfolgung von schweren Straftaten dazu verpflichtet werden, mindestens sechs und höchstens zwei Jahre Daten auf Vorrat zu speichern.

Sie werde auf EU-Ebene alles einbringen, wenn es darum gehe, „die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich zu hinterfragen“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. WOLF SCHMIDT