ÜBER DIE TRADITIONELLE ROMA-DIENSTLEISTUNG DES HANDLESENS : Manche Klischees stimmen einfach
VON HELMUT HÖGE
Seit geraumer Zeit sagt man in der Öffentlichkeit nicht mehr „Zigeuner“, sondern spricht von „Roma und Sinti“, auch wenn einige der von dieser PC-Begriffsreinigung Betroffenen sich selbst weiter als „Zigeuner“ bezeichnen. In vielen Ländern haben unterdessen die diskriminierenden Angriffe auf Sinti und Roma zugenommen. So findet man zum Beispiel bei der Suchmaschine Google unter „Zigeuner-Bilder“ ein Foto von einem völlig überfüllten indischen Personenzug, aus und an dem überall Leute hängen. Das Foto illustriert einen deutschsprachigen Artikel über osteuropäische „Roma-Horden“, die sich nach England und Irland aufmachen – als „Billigarbeiter“.
Dieser rassistischen Veröffentlichung steht unter anderem eine Meldung von der Internetseite swissinfo gegenüber: „Immer wieder geraten Roma negativ in die Schlagzeilen. Die ‚Zigeuner‘, die nichts mit den Schweizer Jenischen oder Fahrenden gemeinsam haben, werden meist als Bettler, Diebe, Zuhälter, arbeitsscheues …“ beschimpft. Zu den vielen Eintragungen und auch Bildbänden über die Roma- und Sinti-Kultur kommen Studien und Sammlungen über einzelne Kulturpraktiken. 1991 gründete die Romni Jana Horvathova ein Roma-Museum, direkt im Roma-Ghetto von Brno (Brünn). Darüber referierte sie 2004 in der Humboldt-Universität auf dem EU-Kongress „Roma und Sinti im Europäisierungsprozess“.
Bereits 1988 hatte mich die Berlin-Redaktion der taz auf den Reichstags-Parkplatz geschickt, wo sommers immer eine Kölner Roma-Sippe mit ihren Wohnwagen stand, um in Westberlin Teppiche von Haus zu Haus zu verkaufen. Ich sollte dort Näheres über das „Handlesen“ in Erfahrung bringen und berichten.
Unter anderem schrieb ich dann, dass mir die Roma-Handleserin zu viel abgeknöpft – 50 statt der vereinbarten 20 Mark –, und mich mit einer zweifelhaften Haarpraktik abgespeist hätte (die darin bestand, dass ich ein in Papiertaschentuch eingewickeltes Haar in der Geldbörse herumtragen sollte). Überdies sei ihre Prophezeiung, mein weiteres Schicksal betreffend, viel zu klischeehaft gewesen: Mir blühe eine ebenso „treue“ wie „große blonde Verlobte“ und „zwei Kinder – ein Bub und ein Mädel“, sowie „Gesundheit“ und „ein langes Leben“. Als ich sie erstaunt ankuckte, fügte sie hinzu: „Ja, ja, glauben Sie mir, andere Leute zahlen 100, 500 Mark dafür.“
Auf meinen Artikel meldete sich der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, aus Heidelberg. Er beschwerte sich: Damit würde man nur alte „Zigeunerklischees“ bedienen, von der taz würde er sinngemäß anderes erwarten.
Allerdings hat sich seitdem an dieser klischeehaften Art des Gelderwerbs nicht viel geändert: Neulich wurde ich in der „Anker-Klause“ noch einmal von einer durch die Kneipen ziehenden Handleserin mit Zukunftsvoraussagen konfrontiert. Diesmal gegen meinen Willen, weswegen ich mich genötigt fühlte. Zwar wurde ich diesmal nur 5 Euro los (statt der zunächst vereinbarten 2), aber mich verdrießte auch das, was sie mir dafür prophezeite: eine ebenso „treue“ wie „große blonde Verlobte“ und „zwei Kinder – ein Bub und ein Mädel“, sowie auch „Gesundheit“ und „langes Leben“. Als ich sie daraufhin noch erstaunter als die Handleserin am Reichstag ankuckte, wendete sie sich ab und begann, sich den nächsten „Kunden“ vorzuknöpfen. Und ich konnte beobachten, dass sie auch die Haarpraktik mit dem Taschentuch beherrschte.
Auf online-artikel.de, den „kostenlosen Service für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, fand ich später überraschenderweise ein wahres Loblied auf diese Romafrauen. So hieß es dort: „Wenn die Zigeuner aus der Hand lesen, tun sie das intuitiv, das heißt, sie deuten die Handlinien, indem sie ihrer inneren Stimme folgen. Diese Methode wird von Generation zu Generation weitergegeben und bedarf eines besonderen Einfühlungsvermögens und guter Linienkenntnis.“ Das „Zigeuner-Handlesen“ sei eine „alte Kunst“, und man könne durchaus davon leben, wie von einem ehrlichen Handwerk quasi. Namentlich erwähnt wurde dazu eine Edith Steller aus Taufkirchen bei Mühldorf, die mittlerweile „interessierte Kunden im In- und Ausland“ habe.