piwik no script img

Archiv-Artikel

Wenn die Amtssprache versagt

Laut Gesetz müssen bei der Gestaltung von schriftlichen Bescheiden und Vordrucken die besonderen Belange davon betroffener behinderter Menschen berücksichtigt werden. Was das genau heißt, bleibt allerdings offen

Auch Auftritte im Internet müssen barrierefrei gestaltet sein

Der Fragebogen war umfangreich und unverständlich, also legte Otto B. ihn zur Seite – und vergaß ihn schließlich –, bis ihn vor ein paar Tagen kurz, knapp und sehr deutlich ein Bescheid erreichte, den er verstand: Entweder Zwangsgeld zahlen oder den Fragebogen sofort ausfüllen. Wie er den Fragebogen beantworten sollte, wusste der gehörlose Rentner aber immer noch nicht.

Eine missliche Situation, für die in diesem Fall das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein als Erhebungsstelle für den Mikrozensus 2005 verantwortlich zeichnet. In ähnlicher Form drohen Otto B. und generell Menschen mit Behinderungen aber auch Gefahren von anderen öffentlichen Stellen, deren Bescheide und Formulare für sie nicht lesbar oder nicht verständlich sind. Doch inzwischen haben sie rechtliche Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

Es gibt das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) auf Bundesebene, seit April 2005 ist auch ein „Hamburgisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen“ in Kraft. Beide Gesetze schreiben unter anderem vor, dass Träger öffentlicher Gewalt bei der Gestaltung von schriftlichen Bescheiden und Vordrucken die besonderen Belange davon betroffener behinderter Menschen zu berücksichtigen haben. Was das genau heißt, bleibt in beiden Gesetzen allerdings offen.

Otto B. hat jetzt Widerspruch gegen den Bescheid des Amtes für Statistik eingelegt, der ihn zwingen will, Fragen zu beantworten, die er nicht versteht – gleichzeitig hat er einen Eilantrag auf aufschiebende Wirkung gestellt, damit das Statistikamt erst eine Entscheidung über den Widerspruch treffen muss und nicht vorher das Zwangsgeld eintreiben kann. In seinem Widerspruch weist er darauf hin, dass er als gehörloser Mensch in Deutscher Gebärdensprache kommuniziert. Das ist seine Muttersprache. Die deutsche Laut- und Schriftsprache ist dagegen eine schwer zu verstehende Fremdsprache für ihn.

Die Deutsche Gebärdensprache wird in den Behindertengleichstellungsgesetzen des Bundes und der Länder auch ausdrücklich als eigene Sprache anerkannt. Sollen diese Gesetze Sinn machen, muss für Otto B. der Fragebogen zum Mikrozensus, den er nach dem Bundesstatistikgesetz gezwungen ist, richtig auszufüllen, verständlich sein. Er muss also besonders gestaltet werden. Oder das Statistische Amt muss gehörlose Menschen mithilfe von Gebärdensprachdolmetschern befragen.

Einen ersten kleinen Erfolg hat Otto B. schon errungen: Das Amt für Statistik hat zugestanden, dass kein Zwangsgeld von ihm erhoben wird und er den Fragebogen erst dann ausfüllen muss, wenn sein Anspruch auf barrierefreie Gestaltung des Fragebogens geklärt ist.

Jetzt droht aber auch den Bundeskollegen der Hamburger Statistiker, die den Fragebogen entwickelt haben, von Seiten Behinderter weiterer Unbill. Die als Teil des Gleichstellungsgesetzes beschlossene „Barrierefreie Informationstechnologie Verordnung“ (BITV) schreibt vor, dass seit dem 1. Januar 2006 alle Internetauftritte und -angebote von Trägern der öffentlichen Gewalt barrierefrei gestaltet sein müssen. Auch hier sind viele Einzelfragen umstritten und werden von der Rechtsprechung geklärt werden müssen – beispielsweise ob die Seiten auch in Deutsche Gebärdensprache übersetzt werden müssen. Aber die Seite des Statistischen Bundesamtes weist so grundlegende Mängel auf, dass sie auf keinen Fall als barrierefrei durchgeht und deswegen einen Rechtsverstoß darstellt.

Das gilt übrigens auch für die Seiten des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig- Holstein – hier hilft den Statistikern nur die Trägheit der Landesgesetzgeber, die noch keine Landesverordnung zur Barrierefreiheit im Internet beschlossen haben. Oliver Tolmein

Der Autor ist Rechtsanwalt und befasst sich in seiner Kanzlei mit Medizinrecht, Antidiskriminierungs- und Behindertenrecht. Seine Homepage www.ra-tolmein.de hat einen Preis für ihre besonders gelungene barrierefreie Gestaltung bekommen