: Die unbekannten Kreativen
Sie rechnen nicht nur, sondern verwalten, vermarkten und managen auch. Bauingenieure haben ein vielfältiges Tätigkeitsprofil. Doch die Zahl der Studierenden nimmt trotz Nachfrage seit Jahren ab
VON KLAUS LEONARD
Wenn über Häuser gesprochen wird, wird meist auch über Architekten gesprochen. Doch deren Entwürfe könnten ohne eine ständige Interaktion zwischen Architekten und Fachplanern nie Realität werden. Das gilt vor allem für den Entwurfsprozess. Architektonische Räume fußen auf der Mitwirkung von Ingenieuren. Sie müssen eine Reihe von Fragen beantworten, die im Endeffekt auf eines abzielen: Wie soll das Ganze halten? Jedes Vorhaben wird vor allem durch Bau- und Vermessungsingenieure umgesetzt. Ohne deren Daten und Berechnungen könnten Bauwerke gar nicht entstehen.
Doch stabil ist die Lage in der Branche nicht. Die Bayerische Staatsregierung hat zusammen mit der Bayerischen Ingenieurkammer jüngst eine Clearingstelle eingerichtet, die bayerische Ingenieure weltweit unterstützen soll. Kooperationsbörsen führen bayerische Dienstleister mit ausländischen Partnern zusammen. Die Starthilfe für den globalen Markt scheint auch nötig. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) verzeichnete im Jahr 2004 rund 121.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Architekten und Ingenieure in Deutschland. 1996 waren es noch über 155.000.
Obwohl es auf dem hiesigen Bau kriselt, können Bauingenieure in spe guten Mutes sein: „Mittelfristig wird sich die Perspektive für Absolventen wieder bessern“, sagt Reinhold Jesorsky, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Bautechnik. Außer in der starken Nachfrage aus den osteuropäischen Ländern und China sei dies auch in der Altersstruktur der heutigen Bauingenieure begründet. Viele gehen in den kommenden Jahren in Rente. Nachwuchs wird es hingegen nicht im Überfluss geben. Die Studierendenzahlen gehen seit Jahren deutlich zurück: 2004 studierten etwa 36.000 Menschen Bauingenieurwesen, davon 8.413 Frauen. Mitte der Neunzigerjahre waren es rund 60.000, davon 11.000 Frauen. Im vergangenen Jahr haben rund 5.700 Studierende, davon knapp 1.200 Frauen, einen Abschluss als Bauingenieur gemacht. Die Hauptarbeitgeber der Absolventen sind Bauunternehmen, Ingenieur- und Planungsbüros, der öffentliche Dienst, Bausoftwareunternehmen, Versicherungen, baugewerbliche Firmen, Fertigteil- und Betonwerke und die Baustoffbranche.
Das zurückhaltende Interesse an diesem Beruf überrascht, denn das Tätigkeitsprofil ist vielfältig. „Die technischen Anforderungen werden heute in zunehmendem Maß durch kaufmännische Aufgaben ergänzt“, erklärt Michaela Wenzel, Referentin der Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen an der TU München. Projektmanagement, Vermarktung und Verwaltung gehören heute ebenso zum Tätigkeitsfeld wie Planungs- und Entwicklungsleistungen. Zu den traditionellen Prämissen Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und Schönheit sind in den letzten Jahren neue Anforderungen wie Ressourcenschonung und umweltgerechtes Bauen getreten. So wird heute ein kostenoptimiertes und nachhaltiges Life-Cycle-Management gefordert. Gebäude und Anlagen müssen eine lange Lebensdauer haben, günstig instand gehalten werden können, für eine spätere Umnutzung ausgelegt sein und umweltschonend zu entsorgen sein.
Im Bereich der Baustofftechnologie arbeiten Baustoffingenieure im interdisziplinären Verbund an der Entwicklung neuer Baustoffe, die lange haltbar sind, keine umweltschädlichen Eigenschaften aufweisen und problemlos recycelbar sind. Gemeinsam mit Biologen, Chemikern und Verfahrenstechnikern erforschen Bauingenieure mikrobiologische Konzepte für verbesserte Abwasserreinigungsanlagen. Bauingenieure gestalten nicht nur die Zukunft, sondern managen auch die Vergangenheit. Gerade in Ländern mit hoher Baudichte und entwickelter Infrastruktur muss die Substanz bewahrt werden. Damit werden auch Ressourcen geschont. Zu den Aufgaben des Bauingenieurs zählen daher auch Instandsetzung, Sanierung und Modernisierung. Nach Abrissen kümmern sie sich auch um Rekultivierung oder Renaturierung.
Neu ist solches Treiben allerdings nicht: Schon die antiken Baumeister arbeiteten nach ähnlichen Grundsätzen wie die heutigen Bauingenieure. So nennt der Römer Vitruv, der im ersten Jahrhundert vor Christus lebte, in seiner Schrift „De architectura“ als wichtigste Bauprinzipien „Firmitas“ (Festigkeit), „Utilitas“ (Nützlichkeit) und „Venustas“ (Schönheit). Bei vielen Bauvorhaben wurde über einen langen Zeitraum mit beachtlichem materiellem und personellem Aufwand gearbeitet. Dies erforderte eine durchdachte Planung und konsequente Überwachung. Die Langlebigkeit antiker Bauwerke und Anlagen kann Bauingenieuren noch heute als Beispiel dienen: Mit einer lichten Weite von gut 43 Metern besaß das unter Kaiser Hadrian in Rom gebaute Pantheon 1.800 Jahre lang die am weitesten gespannte Kuppel der Welt. Der 18 vor Christus erbaute Aquädukt Pont du Gard in Südfrankreich blieb rund 1.900 Jahre als Wasserleitung in Betrieb. Teile der 312 vor Christus erbauten Via Appia waren vor wenigen Jahrzehnten noch dem Verkehr ausgesetzt. Das sind Ausnahmen, aber sie belegen auch: Gebaut wird immer.