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Archiv-Artikel

Ananas auf dem Parkdeck

URBANES GÄRTNERN In Neukölln eröffnet bald das Gastronomie- und Gartenprojekt Klunkerkranich – auf dem Dach eines Einkaufszentrums. Für Forscher gehört dem Stadtgärtnern in luftiger Höhe die Zukunft

Die Schwermetalle aus den Abgasen kämen nicht über 20 Meter hoch

Die milde Abendsonne scheint auf eine Landschaft aus Blumenkästen, Bauteilen und zusammengezimmerten Holzbauten. Überall hämmern und werkeln junge Männer oberkörperfrei zu den Klängen sanfter elektronischer Musik. Hier auf dem Dach des Einkaufszentrums Neukölln Arkaden soll ein Open-Air-Bereich mit Gartenanbau, Restaurant- und Barbetrieb entstehen.

„Mitte Juli wollen wir versuchen aufzumachen“, sagt Alexei Fittgen vom Kulturprojekt „Klunkerkranich“. Er steht mit bunten Bermuda-Shorts und einer auffälligen Brille auf dem obersten Parkdeck und blickt sich skeptisch um. Der junge Mann ist Teil einer Gruppe Kulturschaffender, die auch den Veranstaltungsort „Fuchs und Elster“ in der Neuköllner Weserstraße betreibt.

Beim Klunkerkranich arbeitet das Fuchs-und-Elster-Team mit dem Techno-Kollektiv Klangsucht zusammen. Fittgen kümmert sich als Gartenbeauftragter um die Beete auf dem Dach und baut Heil-, Bar- und Küchenkräuter an, aber auch Gemüse und Früchte. „Alles das, was wir an der Bar und in der Küche nutzen“, erklärt er das Konzept, „das ist frisch, und die Leute sehen beim Konsum gleich, wo es herkommt.“

Landwirtschaft auf Dächern und in Gewächshäusern ist die Zukunft des Stadtgärtnerns, sagt Kathrin Specht vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung. In der Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift Agriculture and Human Values beschreiben Specht und Kollegen das Konzept als Win-win-Szenario. „Nach Expertenaussagen kommen die Schwermetalle aus den Abgasen nicht über 20 Meter hoch“, sagt die Agrarforscherin. „Die Gesundheitsgefährdung durch Autoabgase wäre in dieser Höhe vernachlässigbar. Außerdem schützt bei Dachgewächshäusern die Hülle aus Glas oder Folie die Pflanzen.“ Und das Stadtklima wiederum profitiere von dem zusätzlichen Grün. Allerdings gibt es laut Specht bisher kaum Zahlen zu der tatsächlichen Belastungsrate von Dachgemüse.

Alexei Fittgen vom Klunkerkranich bereiten die Abgase keine übermäßigen Sorgen. „Wir sind hier über 25 Meter hoch“, sagt er und blinzelt lässig in die Abendsonne, „und wir probieren die angebauten Produkte vorher selbst.“ Jeder, der will, kann bei dem Dachgarten mitpflanzen. Auch ein Gewächshaus ist auf dem stillgelegten Parkdeck geplant. Allerdings ist hierbei der Schutz vor Schadstoffen nicht die Hauptmotivation. „Dort können wir dann exotische Früchte ziehen. Ananas mitten in Berlin!“, sagt der Junggärtner und strahlt.

Nicht überall ist die Stimmung so entspannt wie auf dem Neuköllner Parkdeck. Vor allem die Ergebnisse einer Studie von der Technischen Universität (TU) hatten letztes Jahr für Verunsicherung unter Stadtgärtnern gesorgt. Die Forscher fanden gerade beim Bodenanbau in ungeschützter Straßennähe hohe Schwermetallbelastungen. „Teilweise wurden sogar EU-Grenzwerte für Lebensmittel überschritten“, sagt Ina Säumel, die Leiterin der TU-Studie.

Daher zieht es immer mehr Stadtgärtner auf die Dächer. Auch an der TU ist ein Dachgartenprojekt auf dem Hauptgebäude geplant. Allerdings ist der Trend noch relativ neu in Deutschland, in US-amerikanischen Großstädten wie New York oder Chicago hat sich das Konzept längst etabliert.

Auch im Wedding sollte dieses Frühjahr ein Dachgarten namens Himmelbeet erblühen. Allerdings lehnte das Bauamt den Bauantrag für das oberste Parkdeck eines Einkaufszentrums überraschend ab. So wurde das Himmelbeet im Juni erst einmal auf einer Brache am Boden eingeweiht (taz berichtete). Wegen der Schwermetalle aus den Autoabgasen halten die Gärtner bei den Nutzpflanzen einen Abstand von 15 Metern zur Straße. Und als natürliche Barriere soll der Zaun mit Hopfen und Zierpflanzen berankt werden.

Bis nächstes Jahr hofft man die fehlenden Brandschutz-Maßnahmen auf dem Parkdeck nachzuholen – damit das Himmelbeet doch noch seinem Namen gerecht werden kann. Allerdings wird der begehrte Titel „Erster Gemeinschafts-Dachgarten in Berlin“ dann schon vergeben sein – an den Klunkerkranich in Neukölln. NORA KUSCHE