Manchmal magisch, meist manipulativ

EXOTISMUS „Wilde Welten“ nennt sich eine Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum. Sie zeigt Alltagsgegenstände, Bilderbücher und Werbegrafiken des frühen 20. Jahrhunderts. Gemeinsamer Nenner ist Afrika als Imaginationsort

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Tief im Westen von Berlin, zwischen den winterlichen Alleebäumen, verläuft sich der Großstadtdschungel in miniaturschönen Vorgartenidyllen. Am Straßenrand stehen Häuser mit kleinen Fensterläden und spitzen Giebeln und etwas größere, gezeichnet mit den klaren Linien der klassischen Moderne. An der Tür eines backsteinbraunen Kubus der Hinweis „Besucher bitte klingeln“. Aber da hat die Frau hinter der Tür diese bereits geöffnet.

Ganz so exklusiv also – andere würden vielleicht sagen: abgelegen – geht es im Georg-Kolbe-Museum, dem ehemaligen Atelier- und Wohnhaus des Bildhauers, dann doch nicht zu. Überhaupt ist dieser Ort, zu dem es gefühlt immer ein Ausflug ist, was auch am tollen Kuchen und dem tollen Garten liegen mag, eines der größten kleinen Museen der Stadt. Begegnungen und Diskurse stehen hier zumeist im Ausstellungskalender. Der Kunstkanon des frühen zwanzigsten Jahrhunderts – allen voran natürlich das expressive Oeuvre Georg Kolbes und seiner Weges- und Geistesgefährten – trifft auf Gegenwärtiges und Zeitgenössisches. Das Atelier begegnet dem Alltag, die Kunst- der Kulturgeschichte.

Was auf die aktuelle Ausstellung „Wilde Welten“ noch einmal im Besonderen zutrifft. Denn sie leiht sich ihre Exponate aus einer Epoche, in der der Globus plötzlich ein globalisierter geworden war. In der der Hamburger Großwild- und eben auch Menschenhändler Carl Hagenbeck auf den Markplätzen pulsierender Großstädte wie Hamburg oder Berlin voyeuristische Völkerschauen veranstaltete – der ausgestellte Afrikaner als frühes Spektakel der Massenkultur. Und in der Ernst Ludwig Kirchner in zutiefst ernst gemeinter Mimesis in der Körpersprache seiner afrikanischen Modelle versinkt – und dort das wahre, reine Leben verortet.

„Aneignung des Fremden in der Moderne“ heißt die noch bis zum Osterwochenende gezeigte Schau denn auch passenderweise im Untertitel. Vor allem also handelt „Wilde Welten“ von nicht minder wilden Fantasien, von mal magischen und allzu oft auch manipulativen Konstruktionen eines Lebens der anderen.

Fundament der Schau sind dabei der Exotismus- und Kolonialismuskult des späten Kaiserreichs, ausgestellt sind etwa Bilderbücher („Zehn nackte Negerlein“) und Werbeartikel (natürlich der Sarotti-Mohr) oder Brettspiele („Eingeborener – einmal aussetzen“). Diese Exponate aus der Alltagskultur bilden die Folie, vor der den Arbeiten eines Ernst Ludwig Kirchners, eines Max Pechstein und, natürlich, eines Georg Kolbe auch eine gewisse Karl-May-Haftigkeit unterstellt werden muss. Ein buchstäblich körperloses Sehnen in eine Ferne. Emil Nolde immerhin ist 1913, auf Einladung des Reichskolonialamtes, tatsächlich in die Südsee aufgebrochen: „Die Menschen hier waren wie große, stolze Urwunder der Natur.“

Dass die Ausstellung dabei bereits die Zeitspanne zwischen 1880 und 1930 als „Moderne“ benennt, mag zunächst verwundern. Gerade die Exponate aus dem weiten Feld der Alltagskultur dienen aber als Indiz: Es sind bereits die Mechanismen einer modernen Markenkultur, mit der etwa Schokoladen- oder Tabakunternehmer Lebewesen und Landschaften Afrikas zum Logo verkürzen. Und auch in Emil Noldes Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Authentischen spiegelt sich ja vor allem eine Skepsis vor einer rationalisierten, industrialisierten, eben modernen Gegenwart.

Nolde findet in Polynesien sozusagen paradiesische Verhältnisse für seine Porträts in Aquarelltechnik. Und doch bleiben die dabei genauso Klischee und Konstruktion wie die mit kolonialistischem Blick fratzenhaft überzeichneten Afrikaner des Bildhauers Fritz Behn. Wenn auch das deutlich sympathischere. Und wenn sich Max Pechstein ein gutes Jahrzehnt und einen Weltkrieg später zum Maskenball als afrikanischer Stammeskrieger verkleidet, so entkleidet er sich doch eigentlich von den normativen Zwängen der modernen Gesellschaft.

Im frühen 20. Jahrhundert also, so die stärkste These der „Wilden Welten“, wird die Imaginationslandschaft Afrika zur großen Antithese zum urbanisierten, forcierten Alltag. Der Großstadtdschungel etwa, die schöne Metapher, zeugt noch immer davon, wie gerade ein Zuviel an Zivilisation mit dem vermeintlichen Rückgriff auf einen Ort vor aller Zivilisation in Worte gefasst werden kann. Vor dem Kolbe-Museum aber hat sich der Großstadtdschungel ja längst in miniaturschönen Vorgärten verloren.

■ „Wilde Welten“, bis zum 5. April im Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Di.–So. 10–18 Uhr. Katalog 24,90 €