MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER : Der Clan der Nichtsnutze
Wir sind ja hier nicht in Prenzlauer Berg: In unserem Haus wird sich nicht fortgepflanzt!
Sie lag mit allen vieren angeschnallt auf einem Holzbrett, den Kopf nach unten, bewusstlos. Er zog an seiner selbst gedrehten Zigarette, strich sich über den grauen Bart und griff seelenruhig zum Messer. Danach war es vorbei. Mit der Fruchtbarkeit. Schluss. Aus. Ruhe ist.
Großmutters ehemalige Therapiekatze Mitzi ist nun sterilisiert. Sterilisiert, wenn das die Großmutter wüsste! Es wäre ihr nur recht. Sie, Mutter von fünf Kindern, Großmutter zahlloser Enkel und Urenkel hatte schon immer ein Problem mit der Reproduktion: „Nur Ärger und Scherereien.“ Sie hatte ihre Kinder nach dem Krieg mit Brennesselsuppe durchgebracht, sie waren nun mal da, also musste man sich auch kümmern, so oder so ist das Leben, und für die Großmutter war es eben so gewesen. Später dann hatte sich die Mehrzahl ihrer Kinder geweigert, für die Kosten ihrer Beerdigung aufzukommen. Nur Ärger mit den Nichtsnutzen.
Der Landtierarzt war in Begleitung einer jungen Kleinfamilie mit just in die Welt geschossenem Akademikerkind gekommen. Während der brummig- gutmütige Doktor Mitzi die Eierstöcke entfernte, erfreute sich das junge Menschenpaar nebenan in der Küche bräsig-stolz an der Frucht ihrer Leiber. Meinem Freund wurde das alles zu viel, er ging in den Hinterhof, um mit irrem Blick Holz durch die Kreissäge zu jagen. Er wollte etwas Sinnvolles tun.
Unser Katze ist zu nichts nutze, sie kann nicht mal Mäuse fangen, Mitzi schaut stattdessen lieber Tatort. Jetzt kann sich nicht einmal mehr fortpflanzen, ihre entsprechenden Vorrichtungen liegen nämlich auf dem Komposthaufen. Evolutionär betrachtet ist Mitzi, genau wie mein Freund und ich, ein nutzloser Esser.
Wir werden der Kanzlerin niemals eine Akademikerkind schenken. Warum auch, hätte sie sich ja selbst drum kümmern können, und für die Rente kaufen wir uns ein Stückchen Ackerland in Brandenburg, auf dem man sich dann mit 68 in Ruhe zum Sterben hinlegen kann. Katzen gibt es auf der Welt auch genug, in China werden sie sogar aufgegessen, was ihnen dort wiederum einen hohen Nutzwert garantiert. Evolutionär betrachtet. Genau betrachtet sind wir jedoch, bitte schön, keine nutzlosen Esser.
Im Gegenteil. Neulich zum Beispiel gab es Nudeln mit einer polnischen Tomatensoße der Marke „Pudliszki“.
Mit dem Verzehr dieser „Sos Slodko-Kwasny“ haben wir die Existenz einer in Not geratenen polnischen Arbeiter-Kleinfamilie unterstützt. Ihr Arbeitgeber „Pudliszki“ kann derzeit keine Löhne zahlen, stattdessen dürfen sich die Angestellten aus dem Sortiment bedienen und die Produkte selbst verkaufen. Unser Vorratsschrank ist nun bis oben hin voll mit polnischer Tomatensoße, damit die kleine Maria aus Kostrin ihren Babybrei bekommt.
Man muss was tun, gerade wenn im Nachbarland der Kapitalismus entgleist. Adoptieren geht schließlich, der Union sei Dank, immer noch nicht.
Ja, als evolutionärer Rohrkrepierer muss man sich was einfallen lassen, wenn man seine Existenz in der neobürgerlich-utilitaristischen Welt rechtfertigen möchte. Wir haben uns überlegt, dass wir zum Beispiel zum Frühlingsanfang Blumen verschenken könnten oder kostenlos auf dem Alexanderplatz Schubert-Lieder singen. Ein gottgefälliges Werk!
Wie beruhigend, dass sich unlängst nun doch noch ein winziges evolutionäres Türchen geöffnet hat: Mein Bruder wurde stolzer Vater eines strammen Söhnleins. Wir werden den Kleinen nun freundlich anonkeln, Nepotismus nennt man das: den eigenen Gen-Pool quasi indirekt weitertragen, indem man sich für den Nachwuchs der Geschwister engagiert. Das, was der graubärtige Mann da rauchend in unserem Wohnzimmer gemacht hat, werden wir einfach diskret verschweigen.
Und hoffen, dass weder mein Bruder noch meine Schwägerin die Geschichte von den homosexuellen Flamingos im Zoo, die ihren Hetero-Artgenossen einfach die Eier aus dem Nest gestohlen haben, gelesen haben.
Fragen zur Tomatensoße? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck ist BACK HOME