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Archiv-Artikel

Pflegeforscher: Schröders Plan ist frauenfeindlich

PFLEGEZEIT Wissenschaftler Görres wirft Ministerin vor, ihr Vorhaben bringe kaum Entlastung für pflegende Angehörige

Kritik und Lob für Pflegezeit

■  Der geplante Rechtsanspruch auf zweijährige Pflegezeit greift nach Ansicht von Familienministerin Kristina Schröder ein gesellschaftliches Bedürfnis auf. Damit verteidigte die CDU-Politikerin am Donnerstag ihre Pläne gegen Kritik vornehmlich aus dem Lager der Arbeitgeber. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt verwies auf das Kostenrisiko für die Betriebe. SPD, Linke und Grüne kritisierten Schröders Pläne ebenfalls. „Frau Schröder will die Pflege wieder auf den billigsten Pflegedienst abwälzen, im Zweifel die weiblichen Angehörigen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast den Ruhr Nachrichten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund bezeichnete die Pläne in der Berliner Zeitung hingegen als „grundsätzlich gute Idee“. (apn)

BERLIN taz | Den 85-jährigen Vater zu pflegen, der sein Gedächtnis verloren hat, ist kein Halbtagsjob. Nachts um drei braucht er eine neue Windel. Vielleicht auch noch mal um fünf Uhr früh. „Söhne und Töchter, die ihre pflegebedürftigen Eltern zu Hause umsorgen, leben oft an der Grenze ihrer Belastbarkeit“, sagt Professor Stefan Görres, der Direktor des Instituts für Pflegeforschung der Uni Bremen. Deshalb betrachtet er den neuen Plan von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) mit großer Skepsis: „Das ist kaum machbar.“

Schröder hat am Mittwoch vorgeschlagen, einen Rechtsanspruch auf eine „zweijährige Familien-Pflegezeit“ einzuführen, um Angehörigen die Versorgung ihrer alten Eltern zu erleichtern. Das Modell soll so funktionieren: Die berufstätigen Söhne oder Töchter gehen zwei Jahre lang auf halbe Stelle, und ihr Arbeitgeber zahlt ihnen während dieser Zeit 75 Prozent des Lohns weiter. Die Familienmitglieder haben so erstens Zeit und zweitens Geld, die Pflege zu Hause zu bewerkstelligen. Danach arbeiten die Beschäftigten wieder Vollzeit, doch erhalten zwei weitere Jahre ebenfalls nur 75 Prozent ihres Gehalts. Ergebnis: Den Unternehmen entstehen keine zusätzlichen Kosten.

Das klingt auf den ersten Blick gut, bedeutet praktisch aber: Die Angehörigen machen zwei Jobs und bezahlen die Pflege ihrer Eltern selbst. Sie müssen im Beruf funktionieren, zusätzlich sind sie zu Hause rund um die Uhr für Pflege zuständig. „Dieses Modell schafft kaum Entlastung“, sagt Görres über die Pläne der Familienministerin. Zu den gesellschaftspolitischen Auswirkungen meint er: „Schröders Vorschlag ist frauenfeindlich.“ Denn rund 80 Prozent der Pflege leisten Frauen. HANNES KOCH