Auf die Packung kommt es an

Immer mehr Kunden wollen Bio. Der Nachschub stockt. Da kommt eine geplante EU-Verordnung gerade recht. Sie will die Biokriterien aufweichen

AUS NÜRNBERG HANNA GERSMANN

Öko ist in. Die Biowelt traf sich bis gestern auf der Biofach, der weltgrößten Messe fürs Ökoessen, in Nürnberg – und glänzte. 4 Milliarden Euro, so sagte Wolfgang Gutberlet vom Bund der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft, hat die Branche 2005 umgesetzt. „Das sind knapp 15 Prozent mehr als 2004.“

Heinz-Bioketchup und Meica-Biowürstchen verkaufen sich gut. Also kreiert De Beukelaer jetzt einen Bioschokokeks. Stollwerck bietet ab April eine Sarotti-Ökoschokolade an. Die traditionellen Hersteller entdecken den milliardenschweren Markt (siehe unten links).

Allein: Der Expansionsrausch hat Grenzen. Lidl, so wird in der Branche erzählt, bat Stollwerck dieser Tage, einen Lidl-Bioschokoriegel zu erfinden. Der Kölner Süßwarenherstelller musste ablehnen: Die Zutaten werden knapp. Die Bauern können die Rohstoffe nicht mehr liefern für die vielen Artikel, die sich mit Ökoemblemen schmücken (siehe Kasten). Nun sorgt die EU-Kommission für Nachschub – mit einer umstrittenen Idee.

„Sie weicht die Biokriterien auf“, schimpft Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Jochen Leopold vom Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise sieht gar die „Prinzipien des Ökolandbaus“ bedroht. Die Brüsseler Beamten haben eine neue Ökoverordnung ersonnen – einfacher, klarer als die jetzigen 95 Seiten sollte sie werden. Tatsächlich ist sie im Entwurf, Aktenzeichen 2005/0278 (CNS), auf ein Drittel geschrumpft. Denn sie regelt nicht mehr, wie viel Platz eine Sau braucht oder wie ein Apfel gespritzt werden darf. Stattdessen heißt es vage: „Negative Auswirkungen auf die Umwelt“ sollen „möglichst gering gehalten werden.“ Oder: „Natürliche Stoffe“ müssen chemisch-synthetischen „vorgezogen“ werden.

„Vollständig ungenügend“, urteilt die „International Federation Of Organic Agriculture Movement“ (Ifoam), weltweiter Dachverband von 330 Ökoverbänden. „Die Ziele könnten ebenso für einen Autokonzern gelten“, ätzt Hanspeter Schmidt. Die Kommission, so sagt der Freiburger Verwaltungsrechtler, bediene sich eines Tricks: In der Verordnung spare sie sich die umstrittene Details. Wie sieht ein Acker, ein Stall oder eine Bäckerei in Öko aus? Diese Fragen würden die EU-Beamten dann erst später klären – in einem Verwaltungsausschuss „an Parlamentariern und Staatsministern vorbei“.

In dem Ausschuss sitzen nur Mitarbeiter der Kommission. Sie könnten unbehelligt festlegen, dass Ökoessen zum Beispiel gentechnisch manipulierte Zutaten enthalten darf. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel hat bereits erklärt, die „zufällige Kontaminierung“ erlauben zu wollen. Bislang ist Gentechnik für alle Biobauern tabu. Die Gefahr, dass Standards kippen, ist groß.

Zunächst ist die Kommission aber auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten angewiesen, um die neue Verordnung verabschieden zu können. Die Position der Bundesregierung ist noch unklar. Das Agrarministerium wollte gestern „keine Stellung beziehen“. Dabei gibt die Kommission ein straffes Tempo vor. Sie veröffentlichte ihren Entwurf Mitte Dezember letzten Jahres, so dass er zunächst im Weihnachtstrubel unterging. Im Sommer soll die Reform aber bereits verabschiedet sein.

„Für eine gründliche Meinungsbildung bleibt da kein Spielraum“, klagt Alexander Gerber vom Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft. Für morgen ist seine Organisation mit 30 anderen Verbänden zu einer Anhörung ins Agrarministerium geladen.

Für Grünen-Politikerin Bärbel Höhn steht fest: „Es darf nicht sein, dass die Standards des Ökolandbaus auf EU-Ebene ausgehöhlt werden.“ Die Vorsitzende im Verbraucherausschuss des Bundestages will „Widerstand leisten“. Auch ihr Kollege, der EU-Parlamentarier Friedrich Graefe zu Baringdorf, sagt: „Wir werden uns wehren.“ Allein: Weder das nationales noch das europäische Parlament hat hier ein Stimmrecht.

Schon bisher waren die Kriterien nicht besonders strikt. „Wer Ökorohstoffe verarbeitet, darf derzeit bedenkliche Substanzen einsetzen“, sagt Barbara Hohl von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Beispiel: Plus setze der „BioBio“-Schlagsahne das Verdickungsmittel Carageen zu. Dabei seien Tiere, denen der Stoff aus Rotalgen verabreicht wurde, an Krebs erkrankt. Oder: In Wurst der Marke „Grünes Land“ (Metro, Extra, Real) oder „Bio-Wertkost“ von Edeka steckt Nitritpökelsalz. Das macht die Wurst haltbar, doch können sich im Magen Krebs erregende Nitrosamine bilden. Resümee des Chefs von der Rapunzel-Naturkost AG, Joseph Wilhelm: „Sichern wir nicht unsere Qualität, droht bald der erste Bioskandal.“