Afrikas fotografisches Familienalbum

PORTRÄTS Großartige Schau in Ulm: zeitgenössische Fotokunst und ethnografische Darstellungen von Afrikanern

VON BRIGITTE WERNEBURG

Kleinteilig wird es 2013 – und damit umso interessanter und komplexer. Die dritte Ausstellung der Walther Collection in Burlafingen bei Ulm – bei der es sich um eine international bedeutende Sammlung insbesondere afrikanischer Fotografie handelt – macht dieses Mal die bescheidenen Räume des Grünen Hauses zur fotografischen Wunderkammer. Das ehemalige Wohnhaus aus den 1950er Jahren gibt den kleinen Formaten, Porträtfotografien, Cartes de Visite, Postkarten oder Albumblättern Gelegenheit, ihre Stärke auszuspielen, indem es den Ausstellungsstücken den nötigen intimen Rahmen gibt.

Das Haus ist für die Ausstellungsstücke auch deshalb der richtige Rahmen, weil wir in ihnen nicht so sehr dem Fremden als uns selbst begegnen: in ebendiesen Bildern, die wir uns vom Fremden gemacht haben. Wir, die Leute, die in solchen oder ähnlichen Häusern aufgewachsen sind, in denen unsere Bilder dann umstandslos für gültig gehalten wurden. Dass dies nun ausgerechnet hier problematisch wird, macht das Grüne Haus zum eigentlichen Herzstück von „Distanz und Begehren. Begegnungen mit dem afrikanischen Archiv“.

Das diskursgeschichtliche Anliegen der Schau bestimmt ihre Zusammenstellung und Hängung. Aufnahmen aus dem südlichen und östlichen Afrika, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert vornehmlich im Studio entstandenen sind, stehen im Dialog mit aktuellen Fotografien und Videos zeitgenössischer Künstler, die sich selbst wiederum mit vergangenen anthropologischen und ethnografischen Darstellungen von Afrikanern auseinandersetzen.

Die zeitgenössischen Arbeiten finden sich im Weißen Kubus, der großen Ausstellungshalle auf dem Vorortgrundstück. Im Schwarzen Haus, einem schlichten Bungalow, sind Santu Mofokengs „Black Photo Album/Look at Me: 1890–1950“ aus dem Jahr 1997 und Alfred Martin Duggan-Cronin fotografische Bestandsaufnahme „The Bantu Tribes of South Africa“ (1929–1954) einander gegenübergestellt. Santu Mofokeng gehört zu den Künstlern des Deutschen Pavillons auf der diesjährigen Biennale von Venedig. Anders als in der Lagunenstadt wird in Ulm vor allem der konzeptuelle Ansatz im Werk des südafrikanischen Fotografen erfahrbar.

Im Rahmen eines Forschungsprogramms der Witwatersrand Universität in Johannisburg machte Santu Mofokeng in den frühen 1990er Jahren Familienfotografien ausfindig. Diese Erbstücke, die er in privaten Wohnzimmern und Kisten aufstöberte und die von den Aufgenommenen selbst in Auftrag gegeben worden waren, machte er zum Ausgangspunkt einer Diaprojektion, die er mit kürzeren Texten versetzte, Informationen zu den gezeigten Bildern, aber auch Fragen zur Porträtaufnahme selbst. Wer waren die Porträtierten? Welches Selbstbild wollten sie in ihren Porträts vermitteln, welche Rolle spielte der Fotograf?

Die Mehrzahl der Bilder entstand in den Studios von Fotografen europäischer Abstammung, und sie erinnern an die Bilder in unseren eigenen alten Fotoalben, an Walter Benjamins „Onkel Alex und Tante Riekchen“, die hier eine schwarze Hautfarbe haben. Das „Black Photo Album“ zeigt eine schwarze Mittelschicht und Arbeiterklasse, die es laut dem südafrikanischen Schul- und Universitäts-Curriculum gar nicht gab, als die Fotos gemacht wurden, wie Santu Mofokeng sagt. Denn diese Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Bilder selbstbewusster, gut gekleideter Afrikaner aus einem sichtlich urbanen Umfeld widersprachen der Ideologie der Apartheid. In diesen Alben fand sich eine unterdrückte und lange unbekannte Familiengeschichte Schwarzafrikas.

Die Aufnahmen des irischstämmigen Südafrikaners Alfred Martin Duggan-Cronin von den Bantustämmen dagegen arbeiteten – ohne dass dies seine Absicht war – der Idee der Apartheid zu. Dass Nelson Mandela sie trotzdem als „Angelegenheit des Nationalstolzes“ bezeichnete, ist verständlich. Denn die Fotografien sind von großer technischer Brillanz und fotografischer Sensibilität.

Doch es hat diese Stämme, so wie sie Duggan-Cronin zeigt, nie gegeben. Er glaubte, die indigene Bevölkerung Südafrikas ein letztes Mal in ihrer ursprünglichen Erscheinung und Umgebung fotografisch festhalten zu müssen, bevor sie der Moloch der modernen Zivilisation verschluckte. Daher inszenierte er seine Motive mehr, als dass er sie dokumentierte. Moderne Gebrauchsgegenstände ersetzte er durch ihm passender erscheinende Artefakte, gleichgültig gegen deren eigentlichen Kontext.

Würdevoll geschmückt

Diese Konstellation, mit der die südafrikanische Kuratorin Tamar Garb die Ausstellung prägnant eröffnet, findet sich ähnlich immer wieder. 1970 wollte David Goldblatt in der Goldmine Western Deep fotografieren und sah sich mit einem Minenboss konfrontiert, der ihn anwies, die dienstfreien Arbeiter in ihrer „Stammeskleidung“ zu fotografieren. Goldblatt wollte das Projekt abbrechen. Angesichts der würdevoll geschmückten Männer fotografierte er doch. Und er bewies Meisterschaft: Seine selten gezeigten Bilder sind in ihrem Ausdruck denen des „Black Photo Album“ näher verwandt als denen Duggan-Cronins.

Die dystopische Landschaft des postindustriellen Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo erinnert an das vergangene Industriezeitalter in der Region Katanga. In diese Landschaft montiert Sammy Balojis, ein vielfach ausgezeichneter kongolesischer Fotograf, archivalische Bilder der Menschen der Kolonialzeit. In diesen Montagen wird die Ungleichzeitigkeit der alten Afrikabilder deutlich, die Duggan-Cronin, der weder Minenunternehmen noch Arbeitskleidung kennt, leugnet.

Das koloniale Afrika ist durch Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche geprägt. Militärische Usurpation, ökonomische Ausbeutung und religiöse Mission treffen mit wissenschaftlicher Expedition, Flucht vor heimatlicher Beengung und schlichter Abenteuerlust zusammen. Im Grünen Haus wird denn auch nicht einfach der berühmt-berüchtigte koloniale Blick problematisiert. Ohne die ungleiche Machtverteilung zwischen Fotografierten und Fotografierenden zu negieren, wird sie nicht rundweg als diskursives Regime verstanden, das Afrika und seine Einwohner nur als Objekte von Kontrolle und Verwaltung kennt, gern entlang binärer Schemata wie weiß versus schwarz, bekleidet versus unbekleidet, zivilisiert versus primitiv, dominant versus dominiert. Denn vor allem die Frage, was wäre, wenn auch unter dem kolonialen Regime entstandene Bilder den afrikanischen Wünschen und der afrikanischen Neugierde Ausdruck gäben, motiviert das genaue Studium der kleinen Porträtfotografien, der Hunderten von Carte-de-Visite-Fotografien und der Albumblätter.

Anhand des beliebten Postkartenmotivs der Zulu-Mutter und überhaupt der Zulu, die gern als die nackten Wilde gelten, zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel von Erwartungen und Wünschen auf beiden Seiten. Seitens der Zulu kommt dabei der Kleidung eine besondere Rolle zu. Die drei jungen Männer, die Duggan-Cronin 1938 in „Modern Dress“ fotografierte, müssen zu der Generation von Industriearbeitern gehören, die ihr Geld nicht mehr für den Viehkauf ausgaben (um Wohlstand zu bilden), sondern es in extravagante Kleidung investierten. Ihr hybrides Kriegerkostüm zeigt daher nicht, wie Duggan-Cronin meinte, eine Modernisierung des Zulu-Zeremonien-Kleids, sondern, wie die Anthropologin Hlonipha Mokoena in ihrem Katalogbeitrag erklärt, die Modernisierung ihrer Selbstwahrnehmung: „Was Duggan-Cronin beobachtete, war das Entstehen von igeza lensizwa“ – einer Zulu-Version dessen, was heutige Modemagazine „Metrosexualität“ nennen.

Frühe Neugierde

Der schwarze Dandy ist wahrscheinlich am besten von den Studioaufnahmen Seydou Keïtas (1921–2001) bekannt. Fotos von ihm, seinem jüngeren Kollegen Malick Sidibé und der Videokünstlerin Grace Ndiritu sind im Ulmer Museum zu sehen, im Zusammenspiel mit einer frühen europäischen Neugierde, der das Museum einen einzigartigen Schatz verdankt: die weltweit ältesten bekannten, nicht archäologischen Baumwollgewänder aus dem subsaharischen Afrika. Der Ulmer Kaufmann Christoph Weickmann (1617–1681) hatte sie um 1650 für seine Kunst- und Wunderkammer erworben. Diese Schau, die den afrikanischen Umgang mit Stoffen und mit Fotografie erklärt – der erstaunliche Parallelen aufweist –, erklärt damit auch noch einmal vieles von dem zuvor Gesehenen.

■ Bis 10. Mai 2014, Walther Collection, Ulm-Burlafingen, Katalog (Steidl Verlag), 68 Euro;

■Bis 12. Januar 2014, Ulmer Museum, Ulm, Katalog 19,90 Euro