: Bergfex und Blutpanscher
Österreichs Langlauftrainer Walter Mayer fährt trotz Sperre nach Turin – und lockt die Dopingfahnder ins Quartier der Sportler. Er reißt aus und rammt zu Hause ein Polizeiauto
VON MARKUS VÖLKER
Walter Mayer machte gerade ein Schläfchen, als die Gendarmen an die Scheibe seines schwarzen Citroën klopften. Der 48-Jährige reagierte nicht. Ein Gendarm öffnete die Tür. „Starken Alkoholgeruch“ will der Ordnungshüter wahrgenommen haben. Zum Alkoholtest kam es nicht, denn Mayer gab Gas und flüchtete. Er schaffte es nicht weit. Mayer raste in eine Polizeisperre – mit 50 Sachen. Es gab Blechschaden, eine Festnahme und viel Aufregung in Paternion, Oberkärnten. Die Marktgemeinde ist am Sonntagabend Schauplatz eines olympischen Skandals geworden. Das Epizentrum der Affäre befindet sich freilich in Turin und den Piemonteser Bergen. Die Olympischen Winterspiele stehen unter Dopingverdacht, wieder einmal.
Mayer ist Langlauftrainer und Dopingsünder. Vor Tagen war er ins verschneite Piemont gereist – und genau das nahm das Internationale Olympische Komitee (IOC) zum Anlass, nach ihm zu suchen. Denn Mayer ist seit vier Jahren Persona non grata bei Olympia. Um den Paria zu stellen, kam es zum großen Schulterschluss der Dopingfahnder. Die weltweit operierende Anti-Doping-Agentur Wada war ebenso beteiligt an der Aktion gegen den einschlägig vorbestraften Mayer wie die italienische Staatsanwaltschaft. Dass der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello die Gunst der Winterspiele nutzen würde, war klar. Der gestrenge Guariniello hat selbst die durchaus dopingaffinen Fußball-Stars von Juventus Turin vor Gericht gebracht; Italien verfügt neben den Franzosen über die schärfsten Anti-Doping-Gesetze Europas.
Den heißen Tipp hat der Staatsanwalt von der Wada bekommen. In den Quartieren der österreichischen Langläufer und Biathleten kam es daraufhin am Wochenende zu einer Polizeirazzia. Guariniello vernahm Athleten und Trainer in den Quartieren höchstpersönlich. Material wurde beschlagnahmt, auch ein eilig aus dem Fenster geworfener Sack mit möglicherweise brisantem Material (siehe Spalte). Walter Mayer aber haben sie bei diesem Ortstermin nicht erwischt, obwohl er bei den österreichischen Biathleten nächtigte, mindestens einmal. Er war wohl längst auf seiner Fahrt nach Paternion, die so dramatisch endete.
Warum das IOC dringend nach Mayer fahndete, hat mit Geschehnissen während der Winterspiele von Salt Lake City 2002 zu tun. Dort fiel Mayer als Blutpanscher auf. Er zapfte Blut von Langläufern ab, bis zu 150 Milliliter, bestrahlte es mit UV-Licht und Ozon – und ließ es danach wieder in die Venen seiner Ausdauerathleten fließen. Das war verboten. Das IOC duldet solche Manipulationen mit Körpersäften nicht. „Belüften“ nannte Mayer diese Therapie zur Verbesserung der Sauerstoffaufnahme des Blutes, die schon von den Plandopern der DDR angewendet wurde, zum Beispiel im Oberhofer Biathlon-Zentrum. Im taz-Interview hat Mayer einmal gesagt: „In der DDR waren Kenntnisse da, die bewiesen sind und die man nicht erst neu erfinden muss. Da wär man doch blöd, wenn man das, was es gibt, nicht auch nutzt.“ Aufgedeckt wurde Mayers obskure Strahlentherapie rein zufällig, durch eine Putzfrau, die sich an einer Injektionsnadel gestochen hatte. Zum Vorschein kamen Infusionsbeutel, medizinisches Besteck und Vergabepläne. Mayer wurde bis 2010 aus der olympischen Familie verbannt.
Dass er sich dennoch mit dem Biathlonteam Österreichs zeigte, übrigens auch auf einer Olympia-Postkarte, hatte wohl damit zu tun, dass er sich rehabilitiert wähnte. Anfang Januar hatte das Arbeitsgericht Innsbruck die vom Internationalen Ski-Verband (Fis) verhängte lebenslange Sperre aufgehoben. Das Gericht verfügte außerdem eine finanzielle Entschädigung. Vom heimischen Skiverband wurde Mayer mit offenen Armen aufgenommen, zumal ÖSV-Chef Peter Schröcksnagel ganz gern mal gegen Dopingaufklärer polemisiert und Mayer zu seinen „Freunden“ zählt.
Es musste provokativ wirken, dass sich Mayer, immerhin mit dem Posten eines sportlichen Leiters im Langlauf- und Biathlonbereich bedacht, bei den Winterspielen unter seinen Athleten zeigt. Der Mann mit dem Überschmäh trat auch im Fernsehstudio des Österreichischen Rundfunks (ORF) auf, einer Sendeanstalt, die bekannt dafür ist, ihren Landsleute auch in misslicher Lage beizustehen. Er sei nur als Tourist in Turin gewesen, hieß es oftmals von österreichischer Seite, als Privatmann, was solle daran verboten sein. Zweifel an dieser Version sind erlaubt, denn Mayer ist offenbar ein Wiederholungstäter: Wada-Inspekteure hatten ihn Ende Januar in seinem Privathaus in der Ramsau/Steiermark besucht – und wiederum auffälliges Material beschlagnahmt. Anscheinend hat Mayer wieder ein paar Zaubermittel in seinen roten Wunschpunsch getan.
Weil der Alchimist wieder köchelt und seine „alternativ-medizinischen Maßnahmen“ (Mayer) einleitet, ist nicht nur in Turin die Hölle los, auch in Österreich wird der Fall Mayer mittlerweile von höchster Stelle besprochen. Österreichs Bundeskanzler, der ÖVP-Politiker Wolfgang Schüssel, erklärte eilends: „Ich finde es empörend, dass jemand wie Walter Mayer, der von den Olympischen Spielen bis 2010 ausgeschlossen wurde, sich hier präsentiert und damit die Mannschaft ins Zwielicht bringt.“ Die Zeitung Kurier formulierte eine Selbstanklage: „Wir Österreicher sind nicht wirklich böse. Wir mischen nur einen giftigen Cocktail aus Naivität und Provokation.“ Der Wiener Standard kommentierte: „Man wusste, dass Mayer auf der Watch-List der Dopingjäger ganz oben steht. ÖSV und ÖOC (Nationales Olympisches Komitee Österreichs, d. Red.) haben sich keinen Deut darum geschert.“
Der Skiverband hat sich nie von Mayer distanziert, vom kernigen Bergfex. Erst nach seinem Crash in Kärnten trennte sich der Verband von Mayer, der seit Montagvormittag zwar wieder auf freiem Fuß , aber des Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt ist und auch in Italien mit einer Anklage rechnen muss. Der Sieger des Wasa-Laufs aus dem Jahr 1980 gilt als Vater der österreichischen Langlauferfolge. 1999 beschrieb er der taz den Leistungssprung recht markig: „Meine Läufer sind seit zwei Jahren explodiert.“ Dieses Ereignis führte er paradoxerweise auf der Verschärfung der Dopingkontrollen zurück und nannte im weiteren Gespräch Hämoglobinwerte seiner Athleten. Der Langläufer Alois Stadlober habe einmal den Wert von 18,6 aufgewiesen, offenbarte Mayer. Jetzt liegt der Grenzwert bei 17,0. Stadlober würde heute wohl umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen, damit das Blut nicht verklumpt.
Walter Mayer, der Schnellmacher vom Dachstein, hat immer durchscheinen lassen, dass er im Grenzbereich arbeitet. „Es ist im Hochleistungssport üblich, alles auszureizen“, hat er in einem Interview mit dem Standard eingeräumt. „Wir jammern immer, dass wir arme, kleine Hosenscheißer sind. Mit dieser Einstellung kann man gegen die Norweger, Deutschen oder Russen nicht bestehen.“ Er hat Austrias Langläufer aufs Stockerl geführt. Und den Wintersport in eine olympische Krise.