: Ein Campus für alle
RÜTLI Vor zwei Jahren wurde der Campus Rütli in Berlin-Neukölln eingeweiht. Die Bestandsaufnahme einer Erfolgsgeschichte
VON PAUL BLAICH UND JAKOB SCHÄFER
Die Schlagzeilen über die Rütli-Schule waren überall zu lesen: Von schlechter Organisation war die Rede, von Unterrichtsausfall, aber vor allem von aufsässigen, gewaltbereiten Schülern. Die Lehrer der Rütli-Schule schrieben daraufhin den sogenannten Brandbrief an den Senat. Sie seien „am Ende ihrer Kräfte“, hätten kaum Unterstützung durch die Eltern, vor allem aber: „Die Hauptschule ist am Ende einer Sackgasse angelangt.“ Perspektivisch müsse nach einer neuen Schulform gesucht werden.
Bürgermeister, Lehrer und Politiker taten sich zusammen und entwickelten ein Konzept. Ihre Grundidee: Es soll keine Aufteilung nach Schultypen geben, Stärken aufgezeigt und die Zahl von Schulabbrechern minimiert werden. Konkret: Von Kitas über gesundheitliche Aufklärungsstellen bis hin zu Freizeiteinrichtungen sollten hier alle vorhandenen Institutionen des Bezirks enger zusammenarbeiten.
Kern des 47.000 Quadratmeter großen Campus Rütli ist die Gemeinschaftsschule. Sie entstand durch Zusammenlegung der Rütli-Hauptschule, der Heinrich-Heine-Realschule und der Franz-Schubert-Grundschule. Hier können die Kinder Hauptschul- und Realschulabschluss erwerben. Von nächstem Schuljahr an soll zudem eine gymnasiale Oberstufe angeschlossen werden – pünktlich zum Start des neuen zweigliedrigen Schulsystems in Berlin. Auch das sogenannte „duale Lernen“ wird kommendes Schuljahr möglich sein. Vorgesehen ist es für Schüler der Klassen acht bis zehn, bei denen nach Klasse sieben abzusehen ist, dass sie den Hauptschulabschluss nicht schaffen werden. Sie werden zwei bis drei Tage in der Woche in einem Betrieb arbeiten und dafür benotet. So haben sie die Chance, den Abschluss zu schaffen und werden gleichzeitig mit Berufspraxis ins Leben entlassen. Noch etwas Außergewöhnliches ist geplant: Um auch den Eltern den Wert der Bildung zu vermitteln und sie in den Schulalltag mit einzubeziehen, wird ein Elternhaus gebaut. Es soll Treffpunkt werden in einem Viertel, in dem Menschen aus zirka 160 Nationen leben.
Um Kontakt mit den vor allem türkisch- und arabischstämmigen Eltern zu vereinfachen, sind an der Schule vier Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund angestellt, sogenannte Interkulturelle Moderatoren. Sie sollen helfen, eine Vertrauensbeziehung zwischen Schule und Eltern aufzubauen. Zusätzlich werden Stadtteilmütter ausgebildet, die Kontakte mit Müttern knüpfen und eine regelmäßige Kommunikation pflegen sollen. Beide Stellen werden von Projektleiter Klaus Lehnert als „absolut unverzichtbar“ bezeichnet.
Was steht zwischen den ambitionierten Zielen und einer Umsetzung? 25 Millionen Euro? Kosten für Baulichkeiten und Ausstattung. Die sind bereits bewilligt. Alles schön und gut also? Eine Kleingartenkolonie in der Nachbarschaft soll dem Campus weichen. Und wehrt sich vor Gericht dagegen. Sie wollen nicht gehen. Der Gerichtsbeschluss steht noch aus.