„Darth Vader sitzt nicht in Genen“

SKANDINAVIEN Die Schweden waren nicht begeistert, als Olof Palme die Väterzeit einführte. Aber heute sind ihnen die Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern wichtiger als die Unterschiede, meint Männerforscher Lars Jalmert

■ ist ein Pionier der Männerforschung in Schweden. Der 65-jährige Professor für Kinderpsychologie an der Universität Stockholm berät seit vielen Jahren die schwedische Regierung und die UNO in Fragen der Geschlechter- und Männerpolitik. Er hat zwei Töchter, die er als junger Akademiker selbst mitbetreuen konnte.

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Herr Jalmert, Sie nennen sich selbst Feminist. Hier in Deutschland machen das nur Komödianten, als Scherz.

Lars Jalmert: Vor 20 Jahren hätte ich das auch in Schweden nicht sagen können. Aber inzwischen ist es normal, dass auch Männer die Geschlechtermacht verändern wollen.

Wie viel hat die schwedische Politik damit zu tun?

Viel. Wir haben die bezahlte Elternzeit schon 1974 eingeführt, und zwar für beide Eltern. In einem kleinen Land wie Schweden reagieren auch Politik und Gesellschaft viel stärker auf Bewegungen wie die Frauenbewegung. Die war in Deutschland auch stark, aber ihr seid so viel mehr Leute, da konnte die Politik sich erlauben, diese Bewegung eher zu ignorieren. Wir dagegen hatten Olof Palme, dem diese Elternzeit ein Anliegen war. Die Mehrheit der Gesellschaft war überhaupt nicht davon begeistert, aber er hat es gut gefunden und einfach eingeführt.

In Deutschland wird über die schwedische Väterzeit geunkt, dass die Väter sie immer während der Jagdsaison nehmen. Auch so ein deutscher Witz?

Da ist etwas dran. Und eine Menge Männer reden über Geschlechtergleichheit als Lippenbekenntnis. Aber was soll’s? Die Väterzeit ist ein erster Schritt. Auf lange Sicht wird sich die Haltung dazu schon ändern.

Ist die Elternzeit in Schweden auch eher ein Wickelvolontariat: Danach geht’s zurück in den Beruf, und an der Arbeitsteilung zu Hause ändert sich nichts?

Die Frauen arbeiten auch in Schweden doppelt so viel im Haushalt wie Männer. So etwas ändert sich nur langsam. Wenn sie die 13 Monate Elternzeit in Schweden mal gerecht unter den Eltern aufteilen würden, würde es sich schneller ändern.

Im Moment sind nur je zwei Monate auf Männer und Frauen festgelegt, der Rest ist frei.

Ja, aber frei ist definitiv das falsche Wort. Die Mütter nehmen diese Monate. Das ist nicht frei.

In Deutschland gibt es Studien darüber, dass Männer, die viel Hausarbeit übernehmen, ungern darüber reden. Es beschädigt ihre Männlichkeit. Als Ausgleich machen sie dann besonders viel Sport oder kaufen sich ein Motorrad.

Das gibt es in Schweden schon lange nicht mehr. So etwas hätten sie bei uns in den Fünfzigern gehört. Womit ich nicht direkt sagen will, dass Deutschland auf dem Stand der Fünfziger….

Nur zu. Aber unsere neue Frauenministerin hat angekündigt, dass sie erstmals Männerpolitik machen möchte. Es geht vor allem um männliche Vorbilder für Jungen in Kitas und Schulen. Wie finden Sie das?

Offen gesagt, es ist idiotisch zu sagen: Die Jungen brauchen Männer. Es hängt doch alles davon ab, was diese Männer da machen. Wenn sie die alten Rollenbilder vom starken Mann weitertragen, wird das natürlich überhaupt nichts nützen. Wenn diese Männer aber fürsorglich sein können und statt der Unterschiede vor allem die Ähnlichkeiten zwischen Frauen und Männern betonen, dann kann das extrem hilfreich sein. Der Hauptpunkt ist, dass Männer Frauen zuhören.

Zuhören?

Ja, die Männer hören immer, was andere Männer denken, wie andere Männer sich verhalten, was andere Männer meinen. Sie sollten einfach auch mal den Frauen zuhören.

Wollen nicht die meisten Eltern schlicht, dass ihre Kinder eine „normale“ Geschlechtsidentität entwickeln? Also finden sie es in Ordnung, wenn die Jungen Rennfahrer und die Mädchen Topmodels verehren.

Das war in Schweden vor 20 Jahren auch noch so, aber heute stehen eine Menge Eltern diesen Vorlieben eher kritisch gegenüber. Und das ist ein Unterschied: Ob die Eltern kritiklos alles unterstützen oder ob sie mit den Kindern darüber sprechen. Meine Enkelsöhne lieben Eishockey, das gefällt mir auch nicht. Ich versuche ihnen zu zeigen, dass es auch andere wichtige Seiten und Aspekte im Leben gibt. Viele Eltern achten darauf, dass Mädchen ein paar Züge von Jungen übernehmen und umgekehrt. Das macht beide menschlicher.

Was raten Sie Eltern, deren Töchter nun mal Prinzessin werden wollen und deren Söhne für Darth Vader schwärmen?

Kämpfen!

Nach einigen Kämpfen kommen die Eltern zu dem Schluss, dass das Rollenverhalten doch in den Genen liegen muss.

Das höre ich sehr oft. Aber sagen Sie mal, wie kommt Darth Vader in die Gene? Oder die Vorliebe für Autos? Autos gibt’s erst seit 120 Jahren, und sie sind definitiv von der Gesellschaft gemacht und nicht von den Genen. Natürlich gibt es Gene und Hormone, die Menschen beeinflussen. Aber Testosteron muss sich nicht zwangsläufig in Darth Vader niederschlagen. Da gäbe es auch andere Angebote.

Haben Sie denn Erfolg bei Ihren Enkelsöhnen?

Ja, nein, nicht direkt. Bei solchen Dingen muss man natürlich langfristig denken.

Männlichkeitsforscher sagen, dass Männer ihre Identität entwickeln, indem sie sich von Frauen absetzen und diese abwerten. Deshalb kursieren so mächtige negative Stereotypen über Frauen. Kann Politik daran irgendetwas ändern?

Natürlich. Wir haben in Schweden schon Programme, mit denen wir in der Vorschule das Rollenverhalten von Mädchen und Jungen erweitert haben – und gerade auch diesen negativen Umgang miteinander. Und tatsächlich hatten die Jungen danach ein ruhigeres Selbstbewusstsein und waren höflicher, und die Mädchen behaupteten sich besser. Sie waren tatsächlich gleicher. Aber die Wahrheit ist auch: Kaum kam diese Gruppe in die Schule, die keine solchen Programme verfolgte, da glich sie sich innerhalb von einem Semester an die anderen Kinder an.

Mein Eindruck ist, dass in Deutschland nicht einmal Einigkeit über die Analyse herrscht. Viele Menschen hier denken, dass Frauen selbst schuld sind, wenn sie weniger erfolgreich sind als Männer.

Solche Leute gibt es in Schweden auch, aber die werden eher als Reaktion auf die Frauenbewegung gesehen. In Schweden haben sich beizeiten ein paar sehr prominente Männer offensiv auf die Seite der Frauen gestellt.

Der Männerforscher Michael Kimmel sagt, dass unser Männlichkeitsbild auf der Angst beruht, nicht genug Macht und Kontrolle zu haben. Von jemandem, der diese Angst hat, zu verlangen, er soll Macht und Kontrolle abgeben, scheint absurd.

Die Frage ist, ob Männer diese Analyse erst einmal akzeptieren. Das ist wie mit anderen Diskriminierungen: Sie als Frau denken auch nicht darüber nach, dass sie als weiße westliche Frau Privilegien gegenüber einer indonesischen Putzfrau haben. Sie nehmen diese Strukturen einfach hin. Das machen Männer genauso. Sie halten sich für die Allgemeinheit – und Frauen sind eine Sondergruppe mit Sonderproblemen. Dass sie selbst die Sondergruppe mit Privilegien sind, das können sie nicht sehen.

Die meisten Männer haben wohl nicht das Gefühl, viel Macht zu haben.

Ja. Viele Männer sagen das zu mir: Im Job sagt mein Chef, was ich tun soll, zu Hause kontrolliert meine Frau das gesamte Familienleben. Ich habe überhaupt keine Macht. Aber sie übersehen dabei, dass ihre Frau vielleicht finanziell von ihnen abhängig ist. Dass sie einen gut bezahlten Arbeitsplatz haben und die Frau vielleicht nicht.

Da würde ich als Mann auch freundlich sagen: Pech gehabt. Warum sollten Männer diese Privilegien aufgeben?

Weil sie dann ein besseres Leben haben. Wenn die Frau einen Job findet, ist sie ausgeglichener und wird nicht mehr das Familienleben kontrollieren wollen. Oder nehmen Sie den Extremfall Gewalt: Ein Mann schlägt seine Frau, weil er die Kontrolle haben möchte. Wenn er diesen Kontrollwahn ablegen könnte, glauben Sie nicht, dass er dann glücklicher wäre?

Aber wer sowieso schon Angst hat, möchte nicht noch weiter verunsichert werden, oder?

Aber man bekommt doch auch neue Privilegien: Es ist ein Privileg, wenn man nicht mehr allein auf den beruflichen Erfolg festgelegt wird. Man gewinnt an Lebensqualität.

Aber Männer, die sich unmännlich verhalten, werden doch sofort entwertet. Das kann keinen Spaß machen. Das müssten Sie als Männeraktivist doch selbst erfahren haben.

Ich? Nein. Das ist eigentlich komisch. Es gibt ja einige Männer in Schweden, die für so einen Wandel arbeiten. Wir gelten aber alle nicht als unmännlich. Wahrscheinlich, weil wir es nicht sind.

Toll. Keine Hassbriefe?

Oh doch. Ich werde auch in Interviews gefragt, ob ich mich nicht als Verräter sehe. Oder warum ich denn Männer so hasse. Ob da in meiner Kindheit etwas schiefgelaufen sei.

Haben Sie eine schöne Antwort parat?

Ich arbeite daran, dass Männer ein besseres Leben haben. Und was sind ein paar Männer, die sich verraten fühlen, gegen 51 Prozent der Bevölkerung, die hinter mir stehen – die Frauen?