: Abitur im Fichtenwald
In Kiel gehen heute Schüler für Erhalt des Kurssystems auf die Straße. Statt im frei gewählten Leistungskurs sollen sie künftig in Mathe, Deutsch, Englisch und einem „Profilfach“ das Abitur bestehen. Ministerium verweist auf Zwangslage
Mit „mindestens 700 bis 800 Schülern“ rechnet Thede Stamm von der Landesschülervertretung Schleswig-Holstein. Aus dem ganzen Land kämen sie, ließen zum Teil sogar Unterricht ausfallen, um ab 14 Uhr vom Kieler Asmus-Bremer-Platz zum Landeshaus zu demonstrieren. „Es geht nicht um uns“, heißt es im Aufruf, sondern um die „Zukunft der jüngeren Schüler.“
Ab August 2008 will Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) das 30 Jahre alte Kurssystem der Oberstufe durch eine „Profiloberstufe“ ersetzen. Im Kern folgt die schwarz-rote Landesregierung damit einem Modell, das Baden-Württemberg und Niedersachsen bereits einführten und ab 2008 auch für Hamburg anvisiert wird. Die Schüler können dann nicht mehr in der Oberstufe Fächer abwählen und sich auf Leistungskurse konzentrieren. Statt dessen sollen Deutsch, Englisch und Mathe mit wöchentlich je vier Stunden als Prüfungsfach verpflichtend sein. Hinzu kommt ein ebenfalls vierstündiges „Fächerprofil“ mit dem die Schüler eigene Schwerpunkte setzen. Ein Profil kann beispielweise aus Erdkunde, Wirtschaft und Politik bestehen.
Für Schülervertreter Thede Stamm ist dieses System zu „starr“. Schreibt doch das Ministerium vor, dass kleine Schulen „in der Regel“ ein fremdsprachliches und ein naturwissenschaftliches Profil anbieten müssen. Dadurch aber, so Stamm, kämen gesellschaftliche oder musische Profile „kaum zustande“. Zudem sei zu befürchten, dass künftig weniger Schüler das Abitur bestünden, weil Mathe im Abitur Pflicht wird. Stamm: „Mathematisches Grundwissen sollte jeder beherrschen, aber nicht unbedingt auf Leistungskurs-Niveau.“
Unterstützt wird der Schülerprotest von der GEW und den Grünen. Die Lehrergewerkschaft spricht von einem „Rückfall in die 50er“, mit dem Erdsiek-Rave zu klein gewordenen Gymnasien eine Bestandgarantie verschaffe. Und der Grüne Schulpolitiker Karl-Martin Hentschel sieht hier eine „Mogelpackung“, weil die echte Profiloberstufe, wie sie die Hamburger Max-Brauer-Gesamtschule entwickelte, eine breitere Auswahl an Fächerprofilen lässt und nicht die drei Hauptfächer vorschreibt, durch die das Abitur für „einseitig begabte“ erschwert werde.
Ministeriumssprecherin Patricia Zimnik verweist indes auf äußere Zwänge. So gebe es demnächst einen „radikalen Rückgang der Schülerzahlen im ländlichen Raum“, der zu „sehr mageren Kursangeboten“ führe. Kleine Oberstufen zu Zentren zusammenzulegen, sei schwierig, weil Gemeinden oft die Träger seien, für die „ein Gymnasium Standortfaktor ist“.
Mathe, Englisch und Deutsch würden zu Prüfungsfächern, weil man eine „verbesserte Breitenbildung“ erzielen wolle, um Klagen aus den Universitäten zu begegnen.
Dafür muss Mathe nicht Prüfungsfach werden, das zeigt das Beispiel des Oberstufenkollegs an der Uni Bielefeld. Dort üben die Schüler die „basalen Fähigkeiten“ in Rechnen, Schreiben und Englisch in Crash-Kursen und haben nebenher sogar sechsstündige Leistungskurse. Wichtig wäre, so empfahl Kolleg-Leiter Hans Kröger kürzlich bei einer Anhörung in Hamburg, auf diese Weise „Differenzen einzubauen“, andernfalls nähmen Schüler die Fächer „wie einen monotonen Fichtenwald“ wahr.
Kaija Kutter