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Archiv-Artikel

Die eigene Haut verteidigt

JUSTIZ Zwei Männer sind angeklagt, eine obdachlose Frau vergewaltigt und zusammengeschlagen zu haben. Zwei Psychologinnen sollen die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers beurteilen

Es war im Januar 2013, als bei der Polizei der Notruf einging. Die 33-jährige Annette Schmidt* war seit einer Woche obdachlos. Die gelernte Erzieherin hatte sich in einem leerstehenden Gebäude in Moabit einquartiert. Dort hörte in der Nacht jemand Schmerzensschreie und rief die Polizei.

Seit Dienstag müssen sich nun zwei 36 und 40 Jahre alte Angeklagte vor dem Landgericht wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung und Körperverletzung verantworten. Von Schlägen, Fußtritten und Würgen bis hin zu kurzzeitiger Bewusstlosigkeit ist in der Anklageschrift die Rede. Annette Schmidt habe in akuter Lebensgefahr geschwebt. „Erst totmachen, dann ficken“, sollen die Täter gerufen haben.

Die Angeklagten, ein Litauer und ein Lette, schweigen vor Gericht. Sie verstehen wenig Deutsch, ein Dolmetscher übersetzt. Annette Schmidt ist Nebenklägerin. Die große, gepflegt aussehende Frau tritt sehr selbstbewusst auf. Drei Stunden wird sie am Dienstag als Zeugin gehört. Sie sei allein in der leeren Wohnung gewesen, als die Angeklagten dort eindrangen. Sie habe Todesangst gehabt, sich aber auch gewehrt: „Ich war auch wütend.“

Bissmale und Hämatome

Bissmale, Hämatome und Prellungen an ihrem Körper wurden im Krankenhaus diagnostiziert. Ob sie Folgeschäden habe, will der Richter wissen. Die Zeugin schüttelt den Kopf. „Gesamtpsychologisch habe ich das gut verkraftet.“ Es klingt, als sei da doch noch was. Der Richter hakt nach. Sie habe einen Libidoverlust erlitten, ergänzt die Zeugin.

Das Gericht scheint Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Annette Schmidt zu haben: Es hat zwei Psychologinnen hinzugezogen, die die Glaubwürdigkeit und Zurechnungsfähigkeit der Zeugin begutachten sollen. In den Akten soll es Hinweise auf eine psychische Erkrankung geben. Ob sie an einer Krankheit leide, fragt einer der Verteidiger. „Das ist eine Unterstellung“, erwidert die Zeugin empört.

Der Richter konfrontiert sie mit Aussagen von Polizisten, wonach einer der beiden Angeklagten geschlafen haben soll, als die Polizei in die Wohnung kam. Der andere soll neben ihr gekauert haben. „Es hat keiner geschlafen“, sagt die Zeugin bestimmt. Der Vorsitzende erkundigt sich nach Details, welcher Angeklagte was wann genau gemacht habe, ob der Slip gleichzeitig mit der Strumpfhose heruntergezogen worden sei. „Ich bin so zusammengeschlagen worden, dass ich auf andere Einzelheiten nicht so geachtet habe.“

Interesse an Aufklärung

Die Zeugin ist von den ständigen Wiederholungsfragen zunehmend genervt. Sie habe großes Interesse an der Aufklärung, versichert sie – „aber langsam komme ich mir blöd vor“.

Am Donnerstag, dem nächsten Prozesstag, muss Annette Schmidt noch einmal in den Zeugenstand. Da soll es um ihre Vorgeschichte und persönliche Situation gehen. Auch ihre Obdachlosigkeit, hinter der sich möglicherweise psychische Nöte verbergen, wird wohl Thema sein.

PLUTONIA PLARRE

*Name von der Redaktion geändert