Betriebsgeheimnis Lutschbonbon

Das Kabinett will ein Verbraucherinformations-Gesetz verabschieden. Es sei ein „bürokratisches Monster“, kritisiert Foodwatch. Firmen könnten sich weiterhin auf ihre Betriebsgeheimnisse zurückziehen. Die SPD hingegen preist die neue Transparenz

AUS BERLIN NICK REIMER

Aktuelle Warnung der britischen „Food Standards Agency“: Im Aldi-Erdbeerjogurt sind Glassplitter enthalten. Hierzulande hat man davon noch nichts gehört. „Das kann entweder daran liegen, dass Aldi-Jogurts in Deutschland von einem anderen Hersteller fabriziert werden. Oder aber daran, dass die Verbraucher hier nicht informiert werden müssen“, sagt Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Anders als nämlich in Großbritannien habe der Verbraucher in Deutschland „nur sehr eingeschränkte Informationsrechte“.

Um das zu ändern, arbeitete die alte Regierung an einem Verbraucherinformationsgesetz, das aber am Bundesrat gescheitert ist. Im neuen Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen ein Verbraucherinformationsgesetz, das den hohen Ansprüchen der Verbraucher auf Informationen über gesundheitsgefährdende Produkte gerecht wird.“ Der federführende Agrarminister Horst Seehofer hat sich enorm beeilt: Anfang März soll seine Vorlage im Kabinett eingebracht werden.

Foodwatch allerdings war schneller: In Berlin stellten die Verbraucherschützer gestern ein Rechtsgutachten vor, das Seehofers Entwurf bewertet. Der Bundesagrarminister plane ein „bürokratisches Monster“, eine „Schutzschrift für die Industrie“. Das Gesetz lese sich wie eine „Anleitung an die Behörden, Auskünfte zu verweigern“, kritisierte Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode.

Das sei in anderen EU-Ländern genau umgekehrt. „In Großbritannien, Dänemark, Irland, Ungarn und vielen anderen Ländern müssen Unternehmen stichhaltig begründen, warum sie Information nicht geben“, sagte Umweltjurist Michael Günther. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse beispielsweise müssten detailliert belegt werden – nur dann könnte die Auskunft verweigert werden. „Nach Seehofers Gesetz muss dagegen der Verbraucher begründen, warum ein Unternehmen eine Information geben soll“, so Günther. Weil Unternehmen sich hierzulande aber immer auf das „Betriebsgeheimnis“ berufen könnten, müsste praktisch niemand Auskünfte geben.

Zum Beispiel „Landliebe“: Foodwatch fragte Ende Januar den Molkereispezialisten, welche Qualitätskontrollen durchgeführt werden, welche Kriterien für Babynahrung gelten. Bode: „Vier Wochen später warten wir immer noch auf Antwort.“ Zum Beispiel Haribo: Foodwatch fragte nach Handelsbeziehungen zum Gelantinehersteller Reinert. Dieser hatte umdeklarierte Schlachtabfälle als Rohstoffe zur Gelantineherstellung verwendet. Wie lecker also sind die Goldbären? Antwort von Haribo: Reinert habe eidesstattlich versichert, dass die Gelatine für Haribo keine Schlachtabfälle enthält.

„Wollen wir uns auf eidesstattliche Erklärungen verlassen?“, fragt Bode. Besser sei doch eine Offenlegung der Lieferbeziehungen, „wie sie in Ländern von Dänemark bis Ungarn gang und gäbe ist“. Wenn sich Lieferanten dort etwas zuschulden kommen lassen, haben sie es fortan schwer auf dem Markt.

„Seehofer hat den rot-grünen Gesetzentwurf deutlich verschärft“, urteilt dagegen Waltraud Wolff, verbraucherpolitische Sprecherin der SPD. „Mit diesem Gesetz wird es keine Geheimnisse mehr geben“, sagte sie der taz. Denn jetzt müssen die Behörden nicht nur auf Anfrage reagieren – sondern auch selbst aktiv werden. „Das bedeutet eine neue Informationskultur.“ Die Kritik von Foodwatch sei unbegründet und würde nur alte Beißreflexe bedienen. „Ich habe nie ein gutes Wort von Foodwatch über Renate Künast gehört. Ihr kann man nur schwer abstreiten, für die Verbraucher viel erreicht zu haben.“

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