: Von der Revolution zur Resignation
Als in den Philippinen vor zwanzig Jahren hunderttausende den Diktator Ferdinand Marcos stürzten, waren die Hoffnungen groß. Die Probleme sind jedoch geblieben, und es bedürfte eigentlich einer neuen Revolution. Doch die Resignation ist groß
AUS MANILA HILJA MÜLLER
Carmen Deunida ist sauer. Die 77-Jährige lebt seit 1940 in einem Slum der philippinischen Hauptstadt Manila. Sie hat neun Kinder geboren und ist es gewohnt, jeden Peso umzudrehen. Ihr Leben lang hat sie gekämpft, gegen die Armut, aber vor allem gegen die politisch Mächtigen des südostasiatischen Inselstaates. Und es ist kein Ende in Sicht.
Dabei dachte sie im Februar vor 20 Jahren, das alles besser würde. Vier Tage lang hatte sie wie hunderttausende auf Manilas Straßen demonstriert, und als das überraschte Militär sich weigerte, die Waffen gegen die eigenen Landsleute einzusetzen, war der Diktator Ferdinand Marcos machtlos. Am 25. Februar 1986 floh er nach Hawaii. Während seiner 21-jährigen Amtszeit hat er sich schamlos bereichert und geschätzte 16 Milliarden US Dollars ins Ausland geschafft. Seine Macht stützte er auf ein Netz korrupter Gefolgsleute und das 1972 erlassene Kriegsrecht.
Die Unzufriedenheit der Filipinos war so groß wie ihre Furcht, doch Marcos’ Wahlbetrug an Corazon Aquino, der Witwe des ermordeten Politikers Ninoy Aquino, zündete die Lunte.
Die Filipinos benannten ihre friedliche Revolution „Edsa“ nach der Straße, auf der sie den Panzern die Stirn boten. In den lokalen Medien ist derzeit viel von der historischen Dimension zu lesen. Ohne „Edsa“ seien die Umbrüche in Südkorea, der Sowjetunion und der DDR unmöglich gewesen, so der Tenor. Die Euphorie war damals riesig. „Es war unser Camelot, ein leuchtender Moment unserer Geschichte“, meint die bekannte Journalistin Sheila S. Coronel. Doch wie Camelot verkommt auch „Edsa“ allmählich zur Legende.
Heute präsentieren sich die Philippinen desolat. Die Stimmung ist mies, Wirtschaft und Währung sind schwach, Putschgerüchte kursieren. Etwa 40 Prozent der 86 Millionen Filipinos leben unterhalb der Armutsgrenze. Darum ist Carmen Deunida so sauer: „Ich hatte gehofft, dass nach Marcos alles besser wird, aber nichts ist passiert. Unsere Führer haben gewechselt, aber wir haben immer noch ein verrottetes, korruptes System.“
Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein. „Wir hätten viel mehr erreichen können – aber nur, wenn die neue Regierung unter Aquino mitgezogen hätte“, sagt Joel Rocamora vom Institute for Popular Democracy. „Doch sie hat nur die Uhr zurückgedreht auf die Vor-Marcos-Ära. In unserem Land haben nach wie vor die Oligarchen das Sagen.“
In der Tat bestimmen seit Generationen die gleichen Familien. Sie teilen politische Macht, Landrechte und Wirtschaft unter sich auf. Kongress- und Senatsitze werden quasi vererbt. Man bleibt unter sich und sieht großzügig über Makel der Vergangenheit weg. So hält Diktatorenwitwe Imelda Marcos längst wieder Hof in Manila. Ihre Tochter Imee, eine einflussreiche Kongressabgeordnete, erklärt feist, „unter Marcos war alles besser“. Expräsident Joseph Estrada, der 2001 nach Korruptionsskandalen durch „Edsa 2“ gestürzt wurde, empfängt in seinem Arrest hohe Militärs und Politiker.
Seine Nachfolgerin Gloria Macapagal Arroyo hat offenbar den Wahlausgang 2004 manipuliert, ihr Mann und Sohn sind in illegale Wettgeschäfte verwickelt. Ein Grund zum Rücktritt ist das für sie nicht. Internationalen Korrespondenten diktierte sie diese Woche: „Ich glaube, dass ich die beste Präsidentin bin, um unser Land durch diese schwierigen Zeiten zu führen.“ Und mit strengem Blick fügt sie an: „Edsa 1 wurde bejubelt, Edsa 2 akzeptiert, aber Edsa 3 würde uns die Welt nicht verzeihen.“
Glaubt man Joel Rocamora, kommt die Gefahr für Arroyo aus einer anderen Ecke. „Arroyo wird keinen Monat mehr im Amt sein.“ Nach seiner Ansicht werden „patriotische Kräfte im Militär“ sie wegputschen. Andere wie Expräsident Fidel Ramos streben vorgezogene Wahlen und eine Verfassungsänderung an, um die präsidiale durch eine parlamentarische Demokratie zu ersetzen. Carmen Deunida sagt indes: „Ich bin des Kampfes nicht müde, ich will Edsa 3.“
Vermutlich wird ihr Wunsch auch diesmal nicht in Erfüllung gehen. Als der Skandal um Arroyos Wahlbetrug im letzten Sommer auf dem Höhepunkt war, protestierten nur wenige tausend. Es scheint, als sei das Land in eine Lethargie gefallen.
Da passt es ins Bild, was der Künstler Jim Paredes vorhat, der 1986 die Edsa-Hymne „Handog ng Pilipino“ schuf. 1989 hatte er noch seine US-Green-Card abgegeben, weil er sich voller Kraft für seine Heimat einsetzen wollte. Jetzt sitzt er auf gepackten Koffer. Sein Ziel „zumindest für einige Jahre“ ist Australien. „Ich brauche eine Pause davon, ein Filipino zu sein“, sagt der Mann, der einst Revolutionsidol war.