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Archiv-Artikel

Ein Installateur wechselt statt Kupferrohren jetzt die Windeln

QUALITÄT Eine neue Kita ist noch keine gute Kita: ErzieherInnenmangel schafft personelle Nöte, fehlende Gebäude werden durch Stahlcontainer ersetzt

BERLIN (taz) | Mira Weiss* und ihrem Mann Heiko* reichte es. Sie haben das Kind, noch nicht zwei Jahre alt, aus der Kindertagesstätte genommen. Ein Erzieher dort war fristlos entlassen worden – warum, erfuhren die Eltern nicht. Und dann war die Not da: Erziehermangel. Die Kita in einem Berliner Trendbezirk fand einfach kein Personal. „Die, die sich bei uns bewarben, wollten wir nicht auf die Kinder loslassen“, sprach unverblümt die Kitaleiterin, erinnert sich Mira Weiss. Der entlassene Mitarbeiter wurde durch einen Praktikanten ersetzt, einen Installateur, der sich umorientieren wollte. Der lernte nun Windeln wechseln im Schnellkurs. Der Familie Weiss war das nicht geheuer. Mit viel Glück fand sie eine andere Kindertagestätte in Berlin.

Nicht nur Kitas gehen kreativ mit dem Fachkräftemangel um. Auch die Städte und Gemeinden reagieren mit ungewöhnlichen Maßnahmen auf den dräuenden Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für 780.000 Kinder unter drei Jahren, der ab 1. August bestehen wird. Aber reicht das?

In München kooperiert die Stadt mit einem Unternehmen, das mitinvestierte und sich damit Belegplätze sicherte. In Bonn baut die Telekom Betriebskitas. In Mönchengladbach schließen sich Tagesmütter zusammen, um Ausfälle wegen Krankheit und Urlaub zu vermeiden. Sie docken sich an Kitas an und nutzen zum Beispiel deren Turnhallen. In Siegen werden Tagesmütter fest angestellt. Saarbrücken entwickelt ein System von Leihgroßmüttern. Und Aachen stellt Container auf und vergrößert seine Kindergruppen.

Die Kommunen sind die Ersten, die den Run auf die Kindertagesstätten auffangen müssen. Die Kommunen sind auch diejenigen, von denen Eltern Schadenersatz einklagen werden, wenn sie nur eine private Kita finden, die teurer ist. Oder wenn ein Elternteil daheim bleiben muss und seinen Verdienstausfall geltend macht. Kein Wunder, dass sich die Kommunen auf den Kopf stellen, um ein ausreichendes Platzangebot zu gewährleisten.

Dennoch bleiben die Mankos: Das Größte heißt: ErzieherInnenmangel. Deshalb setzen so viele Kommunen auf Tagesmütter. Da werden Gruppen zusammengelegt und von einem Praktikanten und einem 1-Euro-Jobber betreut. „Das ist im Prinzip Kindeswohlgefährdung“ sagt Peer Giemsch vom Landeselternrat Baden-Württemberg. In seiner Stadt Karlsruhe fehlen etwa 100 ErzieherInnen. Giemsch meint, dass das Betreuungsgeld nur deshalb eingeführt wurde: „Sie unterschreiben, dass sie keine öffentliche Kita in Anspruch nehmen, und bekommen dafür 150 Euro. Sie verzichten auf Ihren Rechtsanspruch – und die Stadt hat eine Klage weniger am Hals“, rechnet er vor.

Giemschs Rat an die Eltern: „Macht eure eigene Kita auf.“ Er selbst hat aus der allgemeinen Kita-Misere schon 2005 Konsequenzen gezogen und eine Eltern-Initiativ-Kita (Eikita) aufgebaut. Der Vorteil in Zeiten der ErzieherInnenknappheit: Man kann die Arbeitsbedingungen der ErzieherInnen selbst festlegen. „Das ist wichtig, weil Sie ErzieherInnen nicht mit Geld, sondern mit einem attraktiven Arbeitsplatz gewinnen können“, so Giemsch. Mit Freiräumen für Experimente und einer hohen Selbstverantwortung der Mitarbeitenden könne man durchaus ErzieherInnen locken, meint er.

Also noch schnell eine Kita gründen? Auch das ist leider kein Patentrezept für morgen früh; Fachleute schätzen, dass man etwa anderthalb Jahre braucht, bis die Kita richtig läuft. HEIDE OESTREICH

*Namen geändert