piwik no script img

Archiv-Artikel

ReiseNotiz

Tanz am Abgrund

Sechs Monate nach dem Hurrikan „Katrina“ liegt New Orleans weiterhin großenteils verwüstet und verlassen da, und nicht einmal einen klaren Plan für den Wiederaufbau gibt es – den Mardi Gras, ihren weltberühmten Karneval, feiert die als „The Big Easy“ (die Große Leichtlebige) bekannte Jazz- und Partymetropole dennoch. In den nächsten Tagen werden die farbenprächtigen und schrillen Paraden und Bälle ihren Höhepunkt und Abschluss erreichen. Die wochenlange Sause endet am Karnevalsdienstag, wenn gleich zehn Paraden durch die Innenstadt ziehen werden.

Der 150. Mardi Gras sei „eine wunderbare Botschaft an die Welt, dass New Orleans auf dem Weg der Genesung ist“, sagte Bürgermeister Ray Nagin am 6. Januar zur Eröffnung der Karnevalssaison. Gleichwohl hat die Party auch ihre Kritiker: Sie halten es für zu früh zum Feiern, wenn weiterhin hunderttausende in Notunterkünften hausen, große Teile der Stadt ohne Strom und fließendes Wasser sind, viele Viertel eine desolate Szenerie aus Häuserruinen und wild verstreutem Unrat bieten und noch immer Leichen aus den Trümmern gezogen werden. Das Geld, das für den Karneval auf den Kopf gehauen wird, würde besser für „die Menschen in Not“ verwendet, sagt etwa Lorenzo Johnson, ein 44-jähriger Koch, der nach der Sturmkatastrophe mit tausenden anderen Flüchtlingen im Kongresszentrum von New Orleans eingepfercht war und sich nun in Atlanta eine neue Existenz aufzubauen versucht. Doch die Stadtoberen sehen im Mardi Gras keine bloße Spaßveranstaltung, sondern die dringend benötigte Vitaminspritze für die lokale Wirtschaft. Sie wollen beweisen, dass New Orleans inzwischen wieder in der Lage ist, Touristen aufzunehmen. Der Tourismus stellte schließlich vor „Katrina“ die wichtigste Einnahmequelle der Stadt am Mississippi dar – allein der Mardi Gras pumpte alljährlich eine Milliarde Dollar in ihre Wirtschaft.

Die Party fällt in diesem Jahr allerdings wesentlich bescheidener aus als sonst. Die bisherigen Umzüge wurden von nur relativ kleinen Menschenmengen verfolgt – laut örtlichem Tourismusbüro werden die Gesamteinnahmen für die Stadt wohl nur bei etwa 150 Millionen Dollar liegen. AFP