Die Strahlkraft des Sunnyboys

Seit zwei Jahren ist Ole von Beust der absolute Regent in Hamburg. Für die Opposition ist er nahezu unangreifbar, für die eigene Partei unantastbar. An einen großen Fehler kann sich der Christdemokrat nicht erinnern. Und wenn ihm keiner unterläuft, wird er in zwei Jahren wiedergewählt werden

Aus dem einstmals roten HamburgSven-Michael Veit

Auf dem Höhepunkt seiner Macht beginnt der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Milde walten zu lassen. In viereinhalbjähriger Amtszeit hat der Christdemokrat Ole von Beust den Hanseaten gegeben, hat sich weitgehend auf das konzentriert, was er beherrscht wie kaum ein anderer: Symbolik. Wogen der Sympathie waren sein Lohn, die Ernennung zum Bürgermeister der Herzen und vor zwei Jahren, am 29. Februar 2004, sogar die absolute Mehrheit. Eben jener rauschende Wahlsieg in der einstigen Hochburg der Sozialdemokratie aber sorgt nun für Ernüchterung. Denn verantwortlich in Oleburg ist Olemeister nunmehr ganz allein.

Zunächst ließ er, gestützt auf seinen getreuen Finanzsenator Wolfgang Peiner, Zahltage in Serie verhängen. Gebührenpflichtigkeit des Bildungssystems, Abbau im Sozialbereich, Repression in der Innen- und Justizpolitik sind die Leitbilder dieser Legislaturperiode, der knallharte Sparkurs, den die beiden Konsolidierung nennen, wird durch Verkaufen öffentlichen Vermögens kaum gemildert. Der Geschröpften mithin gibt es reichlich, getreu der machiavellistischen Glaubenslehre, dass die Grausamkeiten zuerst zu verüben sind. Linderung vom Bürgermeister der Schmerzen würde es erst vor dem nächsten Wahltag geben.

Der aber naht nun zur Halbzeit, und so entdeckt Ole von Beust sein Herz für die Unterprivilegierten. Es sei „ja nicht so, dass wir keine Sozialpolitik machen“, stellt er vorigen Dienstag im trauten Gespräch mit handverlesenen Rathausjournalisten im noblen Senatsgästehaus an der Außenalster klar. Und lässt damit die Interpretation zu, dass sie kaum bemerkbar ausfiel. Als er am Wochenende auf dem CDU-Landesparteitag diesen Satz wiederholt, fügt er deshalb sogleich die Sprachregelung hinzu, die Sozialpolitik seines Senats müsse künftig „verstärkt werden“. Um die sozial schwachen Quartiere in Deutschlands reichster Stadt wolle er sich in den nächsten zwei Jahren intensiv kümmern, kündigt er an, „damit sie nicht umkippen“. Schulen, Kitas, soziale Projekte will er fördern, will sie „besser und effektiver bündeln“, damit „alle“ profitieren könnten von der Dynamik der wachsenden Metropole an der Elbe Auen.

Der Hafen boome, Arbeitsplätze erwüchsen allerorten, die Investoren stünden in der Hafencity Schlange, die Hansestadt als Drehscheibe der internationalen Warenströme zwischen Ostsee und Ostasien – „Hamburg ist ein Gewinner der Globalisierung“, sagt der Bürgermeister, „stolz“ sei er darauf, aber „nicht selbstzufrieden“. Und bei dem schwindelerregenden „Tempo, das diese Stadt ergriffen hat, dürfen wir die Schwachen nicht vergessen“.

Denn sein polittaktisches Gespür ist Ole von Beust keineswegs abhanden gekommen – jenem nun auch schon 50-jährigen Sunnyboy, der sich im Glanz von Bambi-Verleihungen, Olympia-Bewerbungen und Women‘s World Awards zu sonnen weiß, ohne zum Wowereit von der Alster zu geraten. Dennoch schaffte er dem angeblichen Bildungsschwerpunkt zum Hohn die Lernmittelfreiheit ab und erhob Eintritt für die Vorschule oder ließ seine Stellvertreterin die Schließung eines Frauenhauses zur Chance für misshandelte Frauen umdeuten, „vermehrt in ihrer eigenen Häuslichkeit zu verbleiben“.

Der CDU-Bürgermeister in der Hansestadt ist überzeugt davon, dass seine Politik ohne Alternative ist: „Wir sind gut für Hamburg und besser als die anderen“, lautet sein Credo. Dass die WählerInnen das in vier Jahren auch glauben, ist so sicher nicht. Ob es zur erneuten absoluten Mehrheit reicht, ist alles andere als gewiss, wenngleich jüngste Umfragen die CDU des Ole von Beust Kopf an Kopf mit der rot-grünen Opposition sehen oder knapp vor ihr. Doch ob in zwei Jahren die Liberalen mal wieder oder die Linkspartei erstmals im Landesparlament die Mehrheitsverhältnisse komplizieren dürfen, wagt zurzeit niemand vorherzusagen.

Mithin lässt der Politprofi bereits nach neuen Mehrheiten fahnden. Mit seinem Segen erprobt in zwei Hamburger Bezirken, Altona und Harburg, Schwarz-Grün seit eineinhalb Jahren das gemeinsame Regieren; Schwarz-Gelb ginge natürlich immer, sofern er einen Steigbügelhalter benötigen sollte, und wenn Merkel und Münte in Berlin sich nicht mächtig in die Haare geraten sollten, bliebe ihm zur Not auch noch eine Große Koalition mit einem roten Juniorpartner. In Bremen funktioniert das ja schon seit Jahren geräuschlos, in Schleswig-Holstein immerhin seit knapp einem Jahr fast störungsfrei. Ole von Beust, so scheint es, wird über den nächsten Wahltag hinaus in Hamburg regieren, mit wem auch immer – oder weiterhin allein.

Wie groß die Strahlkraft des absoluten Ole in Hamburg ist, zeigte sich in nüchternen Zahlen bei der Bundestagswahl im September vorigen Jahres. Nur knapp 29 Prozent votierten im Stadtstaat an der Elbe Auen für die Union, runde 18 Prozent weniger als bei der Bürgerschaftswahl. Dass diese Differenz fast ungeschmälert den Ole-Faktor benennt, gilt Demoskopen als erwiesen.

Freiherr von Beust ist der große Sympathieträger in Hamburg, für die Opposition ist er nahezu unangreifbar. Zugleich ist er der Ernährer seiner Parteifreunde. Macht und Posten gibt es nur mit ihm, das macht ihn in den eigenen Reihen unantastbar. Er kann schalten und walten nach Belieben – bis er seinen ersten großen Fehler begangen haben wird.

Der gescheiterte Versuch zu Jahresbeginn, die Zentrale der Deutschen Bahn von der Hauptstadt in die Hansestadt zu holen, war es fast schon gewesen. Das habe er „falsch eingeschätzt“, räumt Ole von Beust ein, mehr als ein Lackkratzer jedoch ist das in der öffentlichen Meinung offensichtlich nicht. Den Warnschuss aber hat er wohl registriert, und er hat ihn an Volkes Weisheit erinnert, dass Hochmut vor dem Fall komme.

Stolpern, so scheint es dieser Tage, kann der Mann nur über sich selbst.