: Die rote Spur des studentischen Protests
Im Februar vor 40 Jahren wurde das Amerika Haus nach einer Demo mit Farbeiern beworfen. Viele Westberliner sahen darin einen Frevel gegen die Schutzmacht USA. Dabei war es teilweise Zufall, dass das Haus zur Zielscheibe wurde
Da half kein Einsatz der Chemie und kein noch so insistentes Schrubben. Noch viele Jahre nach jenem denkwürdigen Februartag des Jahres 1966, als erstmals rote Farbeier gegen die Fassade des Amerika Hauses flogen, waren die Spuren der Untat gut erkennbar. Zur Freude aller Aktivisten der damals rasch aufblühenden Bewegung gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam. Und zum Zorn, ja zur Erbitterung der übergroßen Mehrheit der Westberliner Bevölkerung, die in dem Attentat einen Frevel gegen die Schutzmacht USA sah. Schließlich war es die amerikanische Präsenz in der Stadt gewesen, der ihre Einwohner seit der Luftbrücke von 1948 Freiheit und Wohlstand verdankten.
Woher dieser krasse Undank? Nur wenige Jahre zuvor hatten viele der Demonstranten, die sich im Februar 1966 vor dem Amerika Haus zusammenrotteten, als Schüler mit Tränen in den Augen des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy gedacht.
Der Protest gegen den Vietnamkrieg speiste sich nicht aus irgendeinem dumpfen Antiamerikanismus, aus dem Gefühl geistiger Überlegenheit gegenüber Coca-Cola oder Hollywood. Er folgte nicht dem eingespielten deutschen Reflex Kultur versus Zivilisation. Gerade die Berliner Studenten hatten die amerikanischen Exportprodukte aufgesogen, ihre Kleidung (Parka), ihre musikalischen Vorlieben, ihr Lebensstil, vor allem aber ihr antiautoritärer Impetus folgten amerikanischen Vorbildern.
Selbst die an der Freien Universität Berlin seit Sommer 1965 praktizierten Protestformen für „free spech“ (Teach-in, Sit-in) waren von amerikanischen Studenten, vor allem denen der Uni Berkeley, beeinflusst. Zu den ersten dem Vietnamkrieg gewidmeten Teach-ins waren noch amerikanische Offizielle eingeladen worden. Sie hatten allerdings gegen die aus amerikanischen Quellen wohl informierten Studenten der SDS-Arbeitsgruppe keine Chance.
Mit einem Satz: Die Berliner Studenten protestierten, gerade weil sie amerikanische Werte, weil sie die grassroot democracy, weil sie den zivilen Widerstand gegen die Anmaßung jedweder Staatsmacht, weil sie den Nonkonformismus der angeblich so konformistischen amerikanischen Kultur übernommen hatten.
Warum das Amerika Haus? Einmal natürlich, weil es sich zu einem Zentrum der offiziellen amerikanischen Desinformationspolitik in Sachen Vietnam in Berlin entwickelt hatte – was übrigens viele der Kriegsgegner nicht daran hinderte, sich mit Argumenten aus der reich bestückten Zeitungs- und Zeitschriftenabteilung des Amerika Hauses zu munitionieren. Zum Zweiten – und ausschlaggebend – die Lage des Gebäudes unweit des Kurfürstendamms, wo die rebellierenden Studenten sich das beliebte Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei lieferten.
Auch die Februar-Demonstration 1966 hatte hier ihren Ausgang genommen, war dann an die Spichernstraße unweit des Ku’damms abgedrängt und dort von der Polizei mit bislang unbekannter Härte maltraitiert worden. Das Amerika Haus war also nicht der Ausgangs-, sondern der Endpunkt der Demo gewesen. Hier gab es Fluchtwege in den Bahnhof Zoo (das Reich der untätigen Ostberliner Bahnpolizei) sowie zahlreiche, nicht absperrbare Nebenstraßen, über die man wieder zum Demo-Objekt zurückkehren konnte.
Hier also wurden die sorgfältig gehüteten Farbeier verteilt, die gegen die Fassade flogen. Unter die Demonstranten hatten sich einige „Greifer“ in Zivil gemischt. Es gelang ihnen tatsächlich, einiger der Farbeiwerfer habhaft zu werden.
Die Beweislage gegen sie war eigentlich eindeutig, denn ein paar Eier waren schon vor dem Wurf zu Bruch gegangen und die Farbe klebte noch an den Fingern der Täter. Aber in den nachfolgenden Strafverfahren nutzte das der Anklage nicht viel. Die Angeklagten beteuerten, zwar auf die Fassade gezielt, sie aber leider nicht getroffen zu haben. Versuchte Sachbeschädigung war jedoch nicht strafbar, und zur schweren Keule des Landfriedensbruchs griffen die Verfolgungsbehörden erst im folgenden, dem für die Ausbreitung der Revolte so schwer wiegenden Jahr 1967.
Hatten die Studenten zuvor bei ihren Aktionen auf dem Campus in der Öffentlichkeit noch mit Nachsicht, manchmal sogar mit Verständnis rechnen können, so änderte sich ab dann die Tonlage grundlegend. Der innerstädtischen Feinderklärung folgte die massive Kampagne der Berliner Medien. Zwei Jahre später, nach dem Vietnam-Kongress und den Schüssen auf Rudi Dutschke, standen sich in Westberlin erbitterte Fronten gegenüber. Christian Semler