Der Lidl unter den Postdienstleistern

Der private Post-Konkurrent PIN AG zeigt sich beim Umgang mit dem Arbeitsrecht sehr kreativ, sagt die Gewerkschaft Ver.di. Für die Beschäftigten bedeutet das: Druck, Unsicherheit und wenig Geld. Nun stehen Betriebsratswahlen an

Stell dir vor, es ist Angestelltentreffen, und die Geschäftsführung geht hin. Sie hört aufmerksam zu, und kurz darauf ist der besonders kritische Kollege seinen Job los. Wenn am 10. März beim Postdienstleister PIN AG ein neuer Betriebsrat gewählt wird, erhoffen sich die Belegschaft und die Gewerkschaft Ver.di eine Abkehr von solch fragwürdigen Unternehmenspraktiken. Der vielfältige Druck auf die Beschäftigten müsse weg, so Benedikt Frank vom Ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg zur taz. Mehr Rechte müssten her.

Die Kritik an der Unternehmensführung ist sehr konkret: Sie umgehe mit „besonderer Pfiffigkeit“ bestehende Rechtsnormen. Stichwort Teilzeit- und Befristungsgesetz: Da die Befristung einer Stelle über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus verboten ist, schiebt das Management Mitarbeiter zwischen der PIN AG und der Zeitarbeitsfirma Bering hin und her – diese arbeitet fast ausschließlich mit dem privaten Postdienstleister zusammen, sodass Ver.di davon ausgeht, dass es sich tatsächlich um eine inoffizielle PIN-Tochter handelt. Unbefristete Anstellungen werden so verhindert. Auch die gesetzliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird umgangen: PIN dreht die Sache um und zahlt eine Anwesenheitsprämie von 11,90 Euro am Tag. 11,90 Euro, die pro Krankheitstag im Portemonee fehlen. Das Grundgehalt beträgt brutto 1.020 Euro. Bei einer 40-Stunden-Woche bedeutet das einen Stundenlohn von 5,89 Euro. Unbezahlte Überstunden sind normal.

Mittlerweile wissen die Beschäftigten, dass jeder Versuch, sich diesen Bedingungen zu widersetzen, mit dem Rauswurf enden kann. Bespitzelungen sind an der Tagesordnung, Kritik ist nicht erwünscht.

„Ein Betriebsrat wurde lange verhindert“, so Ver.di-Mann Frank. Stattdessen habe die Geschäftsführung die Angestellten ein Schreiben gegen die Gründung eines Betriebsrats unterzeichnen lassen. Bei einer später doch initiierten Wahl gab es zahlreiche Hindernisse. So wussten viele Mitarbeiter nicht, dass sie auch per Brief wählen konnten. Weil sie mit der Postzustellung beschäftigt waren, konnten sie nicht teilnehmen. Der Betriebsrat wurde folglich vor allem vom Personal der Hauptverwaltung gewählt – und setzt sich in erster Linie aus Leitungspersonal zusammen. Gegenüber der taz dementierte ein Unternehmenssprecher diese Vorwürfe: „Es hat keine Unregelmäßigkeiten gegeben.“ Dennoch gelobt man für die nun anstehenden Wahlen eine „bessere Organisation“.

Dass nun etwa allen die Möglichkeit der Briefwahl bekannt gemacht wird, begrüßt auch Ver.di. Doch es gibt schon neue Vorwürfe: Um sich bei der Belegschaft vorzustellen, bekämen bevorzugt Personen der Firmenliste Urlaub. Sie hätten so einen Bekanntheitsvorsprung gegenüber den Gewerkschaftlern. Dazu die PIN AG: „Urlaub wird je nach Sendungsbedarf gewährt. Wenn viel Arbeit anliegt, können wir natürlich keinen Urlaub geben.“

Besondere Brisanz hat der Konflikt dadurch, dass auch der Berliner Senat Aufträge an die PIN AG vergeben hat. Um die Liberalisierung der Postdienste zu nutzen und Geld zu sparen, war man zum Post-Konkurrenten gewechselt. Er bietet Briefsendungen für 0,48 Euro an und ist damit 7 Cent billiger als die Post AG. Diese einfache Rechnung hat jedoch neben der miserablen Behandlung der Mitarbeiter einen weiteren Haken: versteckte Kosten. Ein Großteil der PIN-Beschäftigten ist nach Ver.di-Einschätzung berechtigt, ALG II zu beziehen. Zudem ist die PIN AG im Gegensatz zur Post AG nur an Verbundausbildung interessiert, die die Länder, also die Steuerzahler, mitfinanzieren.

Bis zum Redaktionsschluss lag noch keine Stellungnahme des Senats vor. Auch die Verlagsgruppen Springer und Holtzbrinck, denen jeweils 30 Prozent der PIN AG gehören, äußerten sich nicht zu den Vorwürfen.

BERNHARD ROHKEMPER

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